Autor: Victoria Hohmann

  • Beitrag für KRANK – das Magazin

    Beitrag für KRANK – das Magazin

    Schon lange wollte ich über die mittlerweile seit ca. neun Jahren andauernde Demenzerkrankung meiner Mutter schreiben. Aber manches dauert, bis man es formulieren, aussprechen kann. Vor ein paar Monaten kam bei 37 Grad eine Bericht über Demenz. V.a. wie der Pfleger und „Demenz-Aktivist“ Teun Tobes mit Erkrankten umgeht, hat mich begeistert und das Thema „darüber schreiben“ kam wieder auf. (Sendung sehr empfehlenswert!) Dann tauchte kürzlich hier auf Instagram das frisch gegründete Krank – das Magazin auf @krankdasmagazin (Literatur, bildende Kunst, Ton) und plötzlich war ein Text da, an einem Morgen, zack, der sich offenbar schon länger angestaut hatte. Am nächsten Tag habe ich ihn überarbeitet und abgeschickt. Jetzt könnt ihr ihn online lesen.
    Ich freue mich sehr darüber, es wühlt mich auch auf. Danke für dieses tolle Magazin als Impulsgeber, als Ermutigung, als Forum. So wichtig, dieses riesige Thema “ Krank“.
    Freue mich, wenn der Text Menschen erreicht, die mit an Alzheimer Erkrankten in Familie und Umfeld zu tun haben. Sende Umarmungen.

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    Hier geht es direkt zum Text Die letzte Postkarte

  • Balanceakte – Texte

    Balanceakte – Texte

    NEWS: Neu versammelte Texte aus Von Verwandlungen (2017), Vom Dazwischen (2018) und Vom Miteinander (2019). Motto: Balanceakte – gleichzeitig Titel eines Textes. Von 2022 bis jetzt habe ich diese älteren Texte light oder intensiver überarbeitet. So habe ich z.B. bei  Brücken den Schluss umgeschrieben oder von alle gleich nur noch das Gerüst stehen lassen und alles konsequent kleingeschrieben. Andere Texte sind unverändert wie Im Café, dessen Rhythmus sich mir durch das häufige Vorlesen regelrecht eingebrannt hat und den ich nirgendwo wirklich stören wollte, genau wie die queere Geschichte unter Querdenkern Schwarzwäldersahnetote. Texte wie Transposition und Selfiestickerei sind durch weniger und hoffentlich mehr  geworden. Bei Stück Welt und Von Bäumen habe ich mit zarten Stellschrauben gearbeitet. Alles gefällt mir so besser, ist wieder etwas reifer, hat eine Form, die ich jetzt (erstmal) so stehen lassen kann. Sich selbst zu lektorieren ist ja nicht einfach. Und es soll ja immer ein möglichst gutes Buch dabei herauskommen.

    (Die Schauspielerin Felicity Grist liest „Frau mit Hund (sucht)“, books without covers, Berlin, Theater im Kino, 2018. Foto: Svea Landschoof)

    Richtig schwierig ist es dann, einen Titel zu finden. Klar war mir thematisch: Die Texte haben alle mit „Krisen“ zu tun – aber welche Texte haben das nicht. Alle Texte verhandeln (auch) gesellschaftliche Belange, sind politisch, weil ich eine politisch Schreibende bin. Ursprünglich sollte das Buch schon im Juni erscheinen, doch es standen Publikationen mit Text und Bild bei anderen Verlagen im Vordergrund (Kopf & Kragen Literaturverlag , etcetera press berlin). Nun hat sich das Projekt an einen Zeitpunkt verschoben, an dem der Titel Balanceakte besser passt denn je – was nicht beabsichtigt war und nicht unbedingt ein glücklicher Umstand zu nennen ist. Ein Titel, der neben der Herausforderung ausschweifende Amplituden zu überstehen, hoffentlich auch Hoffnung und please Durchatmen kommuniziert. Die Texte handeln von Rechtsextremismus, von Gleichschaltung und Aufbruch, von zwischenmenschlichen Herausforderungen das Weltanschauliche betreffend, von Umweltschutz und Klassenfragen,  von Paarbeziehungen, Care-Arbeitsproblematiken, abgeschliffenen Langzeitbeziehungen und alter, nicht rostender Liebe.

    (Erster Platz für „Selfiestickerei“ beim Publikumsvoting der anonymen Lesereihe Konzept*Feuerpudel, Lettrétage, 2017. Foto: Andreas Vierheller)

    Ein Großteil der 13 Texte funktioniert handlungsbasiert, kann Story/Erzählung/Kurzgeschichte genannt werden, aufgemischt von den lyrischen Experimenten FadoSelfiestickereialle gleich und Stück Welt#HeleneundDirk und Frau mit Hund (sucht) sind erste Prosa-Experimente. Andere Texte wie Der PunktBrücken und Im Café arbeiten mit (Theater-)Dialogen und Regieanweisungen. Die Texte nehmen inhaltlich überraschende Wendungen, auch formal probiere ich Unerwartetes wie das Durchbrechen der vierten Wand. Alle Texte sind sie Hybride, halten sich nicht an klassische Gattungsgrenzen. Der älteste Text(anfang) stammt aus dem Jahr 2004, damals gerade das Grundstudium an der Theaterakademie abgeschlossen, und den ich 2017/18 umgearbeitet habe. Es steckt viel  Begeisterung für Beckett und Ionesco in Fado – einem Text, bei ich zum ersten Mal versucht habe, der akademisch indoktrinierten Selbstzensur zu entkommen.

    Meine frühen Texte aus Von Verwandlungen, darunter die Kriegsgeschichte Von Bäumen, die auf realen Erfahrungen/Berichte meiner Großeltern basiert, ist stilistisch dem magischen Realismus zuzuordnen, ebenso der Text Im Café. Auf seine Weise auch eine Liebeserklärung an das göttliche Getränk Kaffee. Insgesamt ist es hoffentlich eine abwechslungsreiche Mischung, die trotz oder auch wegen der experimentellen Texte, für ein breites Publikum funktioniert.

    (Inszenierung  „Von Bäumen“, 25-jähriges Jubiläum Landschaftspark Duisburg, Aktionstheater Pan.Optikum, 2019. Foto: Jennifer Rohrbacher)

    Manche der Texte haben mittlerweile schon ihre eigene Geschichte, haben sich in Theater verwandelt, in Film, sind von anderen gesprochen und vorgelesen worden, gewannen ein Publikumsvoting, wurden rezensiert, verschenkt und natürlich auch von mir selbst an unterschiedlichsten Orten gelesen. Ich bin gespannt, wohin ihre Reise in dieser neuen Konstellation geht und freue mich, wenn sie zu euch sprechen.

    Fotos Beitragsbild: Jennifer Rohrbacher, Svea Landschoof, Andreas Vierheller)

  • KOOK Festival: „Das lässt sich sehen – zeitgenössische Positionen Visueller Poesie“

    KOOK Festival: „Das lässt sich sehen – zeitgenössische Positionen Visueller Poesie“

    Alle Infos zum Festival (Text: KOOK e.V.):

    KOOK: Festival zu zeitgenössischen Positionen der Visuellen Poesie
    /Festival on contemporary positions in visual poetry
    27. 09. – 17.10.2024
    kuratiert von/curated by Kathrin Bach & Erec Schumacher

    mit Arbeiten von/with works by: Kathrin Bach, Anke Becker, Mara Genschel, Victoria Hohmann, Elena Kaufmann, Titus Meyer, Mario Osterland, Johann Reißer/Ursula Seeger, Simone Scharbert, Carsten Schneider, Erec Schumacher und Andreas Töpfer

    Eröffnung/Opening: Fr/Fri, 27.09.2024, 19:00
    19:30 Lesung/Reading, Performance, Gespräch/Conversation mit/with Katrin Bach, Mara Genschel, Mario Osterland, Erec Schumacher

    Veranstaltungen/Events:
    Di/Tue, 08.10.2024, 19:30
    _Lesung/Reading, Performance, Gespräch/Conversation mit/with Victoria Hohmann, Titus Meyer, Simone Scharbert und Carsten Schneider

    Finissage: Di/Tue, 15.10.2024, 19:30
    _Lesung/Reading, Performance, Gespräch/Conversation mit/with Anke Becker, Elena Kaufmann, Johann Reißer/ Ursula Seeger und Andreas Töpfer

    Öffnungszeiten/Opening hours: Di/Tue-Do/Thu: 16:00-19:00, Sa/Sat: 15:00-19:00

     

    Mehr Infos:

    Galerie Spor Klübü 

    kookverein.de

     

    Eindrücke der Lesungen & Gespräche vom 08.10., Fotos: Andrea Vollmer:

     

     

  • Lesungen Lesungen Lesungen

    Lesungen Lesungen Lesungen

    Herzliche Einladung zu gleich mehreren Lese-Events! Alles kein Wasserglas-Standard, sondern szenisch, multimedial, Teil einer Ausstellung bzw. eines Festivals oder inklusive Verlagsparty. Klingt gut?

    Am Sonntag, den 22.September um 19 Uhr, stelle ich meine Langgedichte Potenz. & fichtensterben und damit auch mein neues Label OFFBEAT-Publishing in der Lettrétage vor. Die Lesung wird dank der aus Finnland stammenden Schauspielerin Meri Koivisto szenisch. Ich freue mich sehr darauf. Moderieren wird mein Mann, Andreas Vierheller, mit dem ich auch den Podcast beans & books über das Büchermachen betreibe.

    Am Freitag, den 27.September beginnt das Festival Das lässt sich sehen – zeitgenössische Positionen visueller Poesie des KOOK e.V. in der Galerie Spor Klübü, Berlin-Wedding. Zur Vernissage und an zwei weiteren Terminen: Am 8.10. und am 15.10. werden jeweils 4 der 12 beteiligten Textkünstler*innen ab jeweils 19:30 Uhr über ihre Arbeiten reden und aus Werken lesen. Am Dienstag, den 8.10. habe ich das Vergnügen gemeinsam mit Carsten Schneider, Simone Scharbert und Titus Meyer. Am 27.09. lesen die Initiator:innen und Kurator:innen des Festivals: Erec Scheider & Kathrin Bach gemeinsam mit Mara Genschel und Mario Osterland. Am Dienstag, den 15.10. sind Elena Kaufmann, Johann Reißer/Ursula Seeger, Andreas Töpfer und Anke Becker beim Panel zu erleben. Außerdem bzw. vor allem gibt es eine Ausstellung zu sehen, die unterschiedlichste Positionen zeitgenössischer visueller Poesie zeigt. Ein Genre, das Sichtbarkeit momentan nur im digitalen Raum kennt. Was sich durch dieses kleine, feine Festival hoffentlich ändert. Der Katalog erscheint bei et cetera press Berlin

    Am Freitag, den 4.Oktober feiert der Kopf & Kragen Verlag im Grünen Salon der Volksbühne sein 4-jähriges Verlagsjubiläum, Programm & Neuerscheinungen, darunter die Anthologie U0-Untergrundminiaturen, in der auch ein Text von mir dabei ist. Gefeiert wird mit buntem Programm: Interview, multimediale Lesungen, Live-Musik, DJ-Set. Ein Teil der Einnahmen für die Anthologie geht an Institutionen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Sie kann hier bestellt werden: Kopf und Kragen Literaturverlag

    U0 Untergrundminiaturen (Anthologie) Kopf & Kragen Literaturverlag

  • Buchcover mit Textkörper

    Buchcover mit Textkörper

    In der Reihe »Texturen« des Rombach Wissenschaft Verlags ist jetzt der Band »Text/Körper – Ästhetiken und Praktiken literarischer (Un-)Sichtbarkeit« herausgegeben von Dr. Vanessa Höving (Fernuniversität Hagen) und Jun.Prof. Lena Wetenkamp (Universität Trier) erschienen. Ich freue mich sehr, dass eine meiner Textarbeiten als Cover fungieren darf. Überraschend kam im letzten Jahr die Anfrage. Der Inhalt wiederum wird sicherlich meinerseits neue Textarbeiten im Bereich der visuellen Poesie inspirieren. Kann den Band allen sehr empfehlen, die sich für »Körper in Texten, Körper als Texte und Texte als Körper« interessieren, wie es im Klappentext heißt.
    Ich bin super dankbar!!! für das Sichtbarmachen dieser (m)einer Arbeit. (übrigens Titel: »Textkörper/Lippenstift«, aus dem Jahre 2017).
    Komplett überrascht hat mich auch die Besprechung des Bildes in der Einführung. Ab und an Anerkennung für seine künstlerische Arbeit zu bekommen, tut wirklich gut. Und Not. Und motiviert. Weil frau schafft ja nicht bloß fürs Echo, sondern auch ein bisschen für Resonanz.

    Mehr visuelle Poesie & Textkörper & Porträts: stuidiovictoriahohmann.de

  • Audiowalk & Audiospektren – Experimente als multimediale Poetin

    Audiowalk & Audiospektren – Experimente als multimediale Poetin

    Der Hörspaziergang am Wochenende im Rahmen von 48h Neukölln zum Thema „urbane Stille“ war ein tolles Experiment. Ich habe das erste Mal mit Sprühkreide im öffentlichen Raum gearbeitet. An manchen Stellen hat sie sich als zu porös für die Menschenmassen gezeigt. Einen Farbton, Magenta, habe ich überschätzt – der Kontrast zum Bordstein/Pflaster war nicht stark genug, um scannbare Codes zu sprühen. Aus diesen Gründen ich zusätzlich mit ausgedruckten QR-Codes auf Papier gearbeitet, die sich allerdings als nicht besonders wetterbeständig erwiesen. Das Wetter ist im öffentlichen Raum eben auch eine Größe, mit der ich kalkulieren muss. Regen in Kombination mit Menschenströmen sind herausfordernd, arbeitet man mit Kunst auf dem Untergrund. Es ist sehr schön, den Untergrund als Kunstgrund, Malgrund etc. zu verwenden. Allerdings bietet sich in stark bevölkerten Gegenden eher ein arbeiten mit QR-Codes oder anderen Markern in Augenhöhe bzw. in einer anderen Form als auf dem Boden an, solange der Bereich auf dem Boden nicht ein wenig geschützt ist.

      

    Ich bin sehr froh, wieder so viel dazugelernt zu haben. Beim Checken der Hörstationen an den verschiedenen Tagen traf ich jeweils auf interessierte Hörerinnen, die diese Form von Text im öffentlichen Raum nach eigener Aussage mochten, spannend fanden. Eine Hörerin fand, das gehe in Richtung „holografischer Text“. Das fand ich sehr anregend. Danke dafür.

    Beim Einsprechen der drei Textteile gefielen mir die Audiospektren sehr gut. Darum habe ich von allen drei Textenden (der gesamte Text war zu umfangreich) die Audiospektren als Fotoprints produziert (erstmal in 40×60 cm). Die Verbindung von Hören/Sehen/Lesen/Wahrnehmen interessiert mich sehr. Text und Bild, Text als Bild, die multiplen Verknüpfungen. Die Bilder lesen sich wie folgt.
    1 – du unheimliche verkettung von möglichkeiten, die entschieden gestalt anzunehmen
    2 – geheimnisumwitterte gehende gegangene gedankenbrandung
    3 – geheimnis/ich nenne dich nicht/mein/ich kenne dich/geheimnis

    Auf meiner Textkünstlerinnen-Webseite finden sich einige Abbildungen dazu. Eine ganz andere Art von visueller Poesie ist das, als Arbeiten auf Papier. Obwohl es ja Fotopapier ist.

     

    Visual Poetry

  • 48h Neukölln – Einladung zum Hörspaziergang

    48h Neukölln – Einladung zum Hörspaziergang

    Das diesjährige Thema von 48h Neukölln ist Urbane Stille. Ich freue mich sehr, mit einem Beitrag in den Bereichen Literatur/Poesie & Kunst im öffentlichen Raum im offiziellen Festivalprogramm dabei zu sein. Von Freitag, dem 28.Juni bis Sonntag, den 30. Juni lädt mein Hörspaziergang Der Moment/lässt sich Zeit entlang des Maybachufers zum Aufhorchen und nach innen Horchen ein. (siehe auch: Termine) An drei Stellen: U-Bahn Schönleinstr. / Maybachufer Anker Klause / Maybachufer Ecke Hobrechtbrücke finden sich Aktionsfelder auf dem Asphalt. Dort können QR-Codes gescannt und Texte zum Festivalthema gehört werden, die auch um Identität und Vergänglichkeit kreisen. Die Texte gehören zusammen, stehen aber auch für sich. Die Aktion möchte zu einem Spaziergang entlang des Maybachufers einladen, zum Walkabout, zum Finden des eigenen Rhythmus. Alle Infos finden sich im offiziellen Programm von 48h: HÖRSPAZIERGANG Der Moment/lässt sich Zeit

     

  • fichtensterben

    fichtensterben

    Pfingsten erscheint mein neues Langgedicht fichtensterben. Es ist Ende 2022/Anfang 2023 entstanden und beschäftigt sich mit dem Fichtensterben in Deutschland bzw. im Kreis Siegerland/Wittgenstein ab etwa 2020 bis heute. Das Langgedicht erzählt in groben Zügen die Geschichte des Ortes: von der geologischen Beschaffenheit, über die keltische Holzwirtschaft und Eisenverhüttung bis zum Klimawandel. Es ist ein insgesamt sehr persönlicher Text, da ich dort aufgewachsen bin und 2022 einen Moment erlebt habe, in dem ich die Landschaft nicht mehr erkannt habe. Das hat nur einige Sekunden gedauert, war aber ein so krasses Erlebnis, dass ich es textlich verarbeiten musste. Herausgekommen ist dabei dieses Langgedicht.

    Angelehnt an die Realität ist das lyrische Ich in fichtensterben auf Heimatbesuch und erlebt unmittelbar die Klimakatastrophe vor Ort. Formal handelt es sich um teils epische, teils experimentelle Ecopoetry, gehört also in die Kategorie Nature Writing. Das Gedicht vertieft sich in das Naturerleben, das Erleben des (Ab-)Sterbens, des Verlusts, beobachtet das Überschreiben von Erinnerung, verhandelt die vermeintliche Dichotomie urban-ländlich und fragt nach neuen Perspektiven des Miteinanders, nach nachhaltigen, gemeinschaftlichen Zukunftsperspektiven.

    Das Fichtensterben, auch wenn es sich um das Verschwinden künstlich angelegter Brotbaum-Plantagen handelt, hat mir in den letzten Jahren zugesetzt. An Orten, die einem vertraut sind, kann man das Ausmaß der Klimakatastrophe besonders intensiv erfahren, auch da sich der Wandel über die Zeit sehr deutlich sehen lässt. Diese Erfahrungen haben mich auch als bildende Künstlerin umgetrieben. So habe ich beispielsweise von Borkenkäfern gezeichnete Rinde gesammelt und diese Fragmente von Bäumen konserviert und bildnerisch aufbereitet. Auch mittels Text, Foto, Collage habe ich mich dem Sujet immer wieder genähert. Das Thema Wald ist ein Hauptanliegen aller meiner künstlerischen Tätigkeiten. 2019 wurde meine Collage Hainbuche mit dem 2.Platz des Kunstpreises des Berliner Münzenbergforums ausgezeichnet. Einen Eindruck von meinen Holzarbeiten gibt es hier:

    Asemic Writing

    Dem Langgedicht nun, ist ein Zitat Thoreaus vorangestellt, das auch meine bildnerische Arbeit begleitet:

    If a man walk in the woods for love of them half of each day, he is in danger of being regarded as a loafer; but if he spends his whole day as a speculator, shearing off those woods and making earth bald before her time, he is esteemed an industrious and enterprising citizen.

    Henry David Thoreau, Life Without Principle, 1863

     

    fichtensterben möchte einen Beitrag leisten, um dieses (selbst-)zerstörerische kapitalistische Wertedoktrin zu entkräften, ja, außer Kraft zu setzen zugunsten einer freiheitlichen, vielfältigen, demokratischen Gesellschaft, die Kreativität und das Finden einer erfüllenden Tätigkeit im Leben mehr schätzt als Geld, des Ikigai, wie es in Japan so schön heißt (und was ich berlinerische ausgesprochen auch sehr passend finde).

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    Mehr Informationen

     

    fichtensterben kann direkt beim Verlag bestellt werden. Dort gibt es auch eine längere Leseprobe:

    offbeat-publishing.de

    Bestellungen können außerdem direkt an mich adressiert werden: info@victoriahohmann.de

    Ab Ende Mai ist das Buch überall im Buchhandel erhältlich.

     

     

     

     

  • Plot is a lot

    Plot is a lot

    Plot is a lot. Plot ist auch Los. Plot ist auch Tölpel. Als Pilot einsteigen in die Handlung. Was fliegt auf. Welche Strukturen werden sichtbar beim Zurücktreten, einen Schritt, drei, zehn, Abstand herstellen, Abstand gewinnen. Warum heißt es „Abstand gewinnen“? Ist da so viel Widerstand, Beeinträchtigendes immer? Da ist ein Strang, bei jeder Handlung. Vermeintlich. Wenn ich beim Schreiben zurücktrete, um eine Situation zu überblicken, Charaktere bis ins Innerste kennenzulernen. Da ist ein Strang, auf den ich mich konzentrieren muss, um mich vorwärts, rückwärts, entlang zu tasten am Geschehen, am Verstehen. Aber je konsequenter ich zurücktrete und die Handlung betrachte, desto deutlich wird die Vielzahl der Handlungen, der Stränge, der Verstrickungen. Nichts davon ist linear. Es ist ein komplexes Flechtwerk. Lineare, evolutionistische Konzepte von Zeit und Raum werden ausgehebelt, als naive Geländer sichtbar. Beim Schreiben trete ich aus der Zeit und aus dem Raum – erstmal nur der Gegenwart.

    Ich trete zurück – hier ist es, auch wenn die Richtung fraglich ist, hilfreich vom „Zurücktreten“ zu sprechen, da wir beim Betrachten von großen Gegenständen, oder bspw. großen Bildern die Praxis des Zurücktretens gewohnt sind, um zu Überblicken. Wobei es auch möglich wäre, eine Plattform oder einen Berg zu erklimmen, um einen Überblick zu haben. Im Wasser verhält es sich anders, da ist ein Abtauchen und Schauen unter die Oberfläche notwendig, das Durchschwimmen, dazu das Bewegen und Blicken in alle Richtungen anders möglich. Wenn ich schreibe, bewege ich mich im Element Sprache. Dort gibt es viel mehr Möglichkeiten einen Gegenstand zu sehen, als an der Luft oder im Wasser. Ich weiß nicht, ob die Möglichkeiten der Sprache unbegrenzt und unendlich sind. Ich weiß nur dass ich, je länger und je mehr ich schreibe, Plot als etwas immer Komplexeres sehe und momentan nicht mehr sicher bin, ob Plot überhaupt existiert. Er ist aber auch nicht tot. Sprache ist Aktion. In jedem Wort steckt Handlung, Bewegung, Bewegtheit. Sprache atmet uns, möchte ich schreiben. Auch wenn wir etwas nicht laut aussprechen. Da ist dieser Dialog, den wir unser Leben lang mit uns selbst führen. Das Denken. Der Stream of Consciousness. Der Bewusstseinsstrom, der Strom des Unbewussten.

    Das All ins uns, und doch nicht, denn die Grenzen unseres Denkens und unserer Sprache sind ja das Interessante. Die Überlappungen, Überschneidungen mit anderen Denkmustern, die neu und fremd sind, das Übersetzen, Übertragen, das dadurch stattfindet, das Erkennen. Jetzt möchte ich jedoch gar nicht an etwas Allgemeingültigem herumüberlegen und in dieses Alles und Nichts abdriften, sondern beim Schreiben bleiben. Es stimmt nicht, dass alles schon geschrieben und gedacht ist und es darauf ankommt es selbst zu denken und zu schreiben. Das Eigene ist ja eben darum das Wesentliche und da, weil dieses „alles schon gewesen“ ein Widerspruch in sich ist. Jede Zeit, damit auch das kollektive Bewusstsein, unsere Schwarmintelligenz im kreativsten Sinne, befähigt uns zu noch nie Dagewesenem. Gleichzeitig ist auch der künstlerische Kosmos Schrägstrich der Kosmos des Schreibens einer, in dem sich zu jeder Zeit Unerhörtes, Visionäres, Futuristisches finden lässt. Bildnerisch muss ich da z.B. sofort an Hieronymus Bosch denken, ein fast plakatives Beispiel. Und: Die Matrix, ja, ja.

    Als Menschen sind wir Gesetzmäßigkeiten gewohnt wie Schwerkraft. Diese Gesetzmäßigkeiten existieren beim Schreiben nicht, beim Denken, im künstlerischen Kosmos. Und so wird es mit dem Plot auch immer komplizierter. Schreibend trete ich hinaus, hinein, wie auch immer es mit den Richtungen verhält, in etwas unüberblickbar Großes. Wie bei der Meditation. Aber Schreiben ist nichts von Erdenschwere losgelöstes, sondern fleischlich, körperlich, sinnlich. Der Kosmos unseres Körpers, unseres Empfindens stellt da aber auch keinen Widerspruch dar. Weil der Kosmos, wie das Schreiben offenbart, ein sinnlicher sein muss, ist. Das Universum ist sinnlich. Dieser Kosmoskörper. Dieser Textkörper. Bis in den kleinsten Winkel angefüllt mit Sinnesrezeptoren. Da ist Kälte, das ist Leere. Aber wie soll Potential ohne Leere existieren, auch ohne Kälte? Denken ist sinnlich. Besinnung, auf seine Weise. Schreiben ist ein Denken, das mir passiert. Weil der Text immer mehr weiß, als ich. Aber da ich Text bin, ist das vielleicht so etwas wie natürlich. Alles wohnt in den Sprachen. Und Verwirrung braucht es, um zu verstehen – wie spätestens seit biblischen Zeiten notiert. Notizen, diese. Von lat. noscere kennenlernen, erkennen.

    Doch zurück zum Plot. Plot is a lot. Eine Menge. Eine bestimmte. Eine unbestimmte. Polt ist viel. Und ein Grundstück. Auf dem du dein Haus bauen kannst. Oder etwas anderes. Oder das du belassen kannst, wie es ist. Vielleicht nur betrachten. Vielleicht ist das auch zu öde. Oft ist mir Plot so oder so zu öde. Momentan. Vielleicht jetzt immer. Ich könnte nie ein Buch schreiben, um der Handlung willen. Oder allein um der Handlung willens. Darum geht es beim Schreiben nicht. Darum kann es ganz automatisch nicht gehen, weil die Sprache so oder so für sich spricht. Beim Plotten mit Plotter geht es ums Herstellen einer grafischen Darstellung, möglicherweise eines Schriftzugs. Genau wie ein Plot eine grafische Darstellung von Verhältnissen, Situationen, Charakteren ist, um lesend zu erkennen, gut kenntlich die grafische Darstellung der Ereignisse zu lesen.

    Diese Klarheit der grafischen Darstellung ist großartig. Texte, die mich interessieren sind wie konstruktivistische Collagen. Oder surreale oder dadaistische. Und genau hier, beim Nachdenken darüber, in welcher Form mich Sprache interessiert, wenn ich sie als bildnerische Kunstrichtung denke, wird mir klar, wie sehr die grafische Klarheit für mich all der anderen Kunststile bedarf. Schön und gut, einen Text mit Fluchtpunkt zu lesen, aber die Überlappung, mit dieser Art Brut, dieser Assemblage, diese Radierung von Beschreibung im Kontrast zu diesem Action gepaintetem Pain von Beziehungskonstellation – sehr reizvoll. Sprache als Material kann so viel. Plot macht mich fertig.

    Darum suche ich ihn in der Plotlosigkeit der Lyrik, vorzugsweise momentan im Langgedicht, das bei mir auch episch ist. Aber die Handlung ist nicht eine durch Personen bestimmte. (Wo es sich nun einiges über Stimmen, Sagen, Sprechen, Bestimmung texten ließe). Die Sprache selbst handelt. Sie schöpft aus sich selbst. Das erzählt sie mir, das erzählt mir das Schreiben über das Leben, das Existieren. Sprache, diese dunkle Materie, schöpft aus sich selbst. Ich beobachte sie schreibend, bin Griffel, begreife, bin auch begriffsstutzig – wundere mich, wie selbst in einer Sprache alles vorhanden sein kann, was ich brauche (um Sinn und Unsinn zu stiften).

    Schreiben ist mein Plot, mein Handlungsgerüst. Hier hangele ich mich herum, baue, klaue, schaue, verdaue und vertraue. Jetzt wäre die Frage, was für ein Handlungsgerüst Sprache ist. Die ich mir nicht vorstelle wie ein Baugerüst, ein Skelett, einen Kletterwald. Vielleicht am ehesten wie einen Kletterwald, im übertragenen Sinne. Das Handlungsgerüst Sprache verändert sich für mich mit jedem Wort und genau das, löst bei mir diese unstillbare Sucht und Lust zu Schreiben aus. Ich bin verrückt nach ihr und wäre verrückt ohne sie – wobei schon hier packt sich mich wieder unerwartet und schiebt das „verrückt“ hin und her und verrückt mich und entzückt mich. Und pflückt mich, pflügt mich, beflügelt

     

    Abbildungen: Textkunst von mir. Mehr auf: studiovictoriahohmann.de

    1 ausschnitt: dis_appearance, textbody, typewriter on paper, 2021, victoria hohmann

    2 o.t., textkunst, bleistift auf pappe, 2021, victoria hohmann

    3 portrait of the artist as a young woman, text portrait, typewriter on paper, 2019, victoria hohmann

    4 letterman (matter), typewriter on paper, 2018, victoria hohmann

    5 das / nichts /provozieren, typewriter, 2020, victoria hohmann

    6 portrait, typewriter on papyrus, 2021, victoria hohmann

    7 digitao, typewriter on paper, 2021, victoria hohmann

    8 wrong, typewriter on paper, 2019, victoria hohmann

    9: Beitragsbild: Ausschnitt: thought, 2020, typewriter on paper, victoria hohmann

  • Midlife-Trip, Theaterstück – mit Leseprobe

    Midlife-Trip, Theaterstück – mit Leseprobe

    Midway along life’s journey
    I woke to find myself in a dark wood
    ― Dante Alighieri

     

    So now what
    ― The Shins

     

     

    Personen:

    Emma, 36

    Aaron, 37

    Dakota, 42

    Lilly, 48

    Ernst, 52

    Pete, ca. 50

     

    INHALT: 

    Midlife-Trip  (Dramödie in 12 Szenen)

    handelt von fünf Personen in der Midlife-Krise, die sich mit einem Coach auf den Weg zu einem ominösen Camp für Menschen in der Midlife-Krise machen. Dafür haben sie teuer bezahlt und werden es auch. Hauptpersonen sind Emma und Aaron, beide Ende dreißig, die ihre Familien verlassen haben und miteinander durchgebrannt sind. Emma ist kaum volljährig Mutter geworden und möchte nun, da wiederum ihre Tochter volljährig wird, privat und beruflich durchstarten. Aaron ist unglücklich verheiratet, hat die Rolle des Versorgers satt und glaubt, mit Emma die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Emmas oberste Priorität ist jedoch nicht die Beziehung mit Aaron, sondern nach der Trennung von ihrem Ehemann ein Studium aufzunehmen. Schon zu Beginn des Trips von dieser Offenbarung aus der Bahn geworfen, lässt Aaron sich mit Lilly ein, einer Universitätsdozentin Ende 40. Lilly will angeblich ihr Sabbatical mit einem Aufenthalt im Camp beginnen, trägt aber eigentlich ein dunkles Geheimnis mit sich. Emma wiederum entdeckt ihre Vorliebe für ältere Männer in Gestalt von Ernst, einem ehemals erfolgreichen Kreativen aus der Webebranche, der sich, da die Kinder aus dem Haus sind, von Haus und Frau getrennt, um ein Künstlerleben zu führen. Fünfte im Bunde ist Dakota, seit ihrem 40. Transfrau, die unter den Aussteigern ein anderes Miteinander abseits ihres von Diskriminierung bestimmten Alltags sucht. Leiter des Trips ist der bekannte Lebensberater Pete Schmidt, der nach vielen Berufswechseln das Coaching für sich entdeckt haben will. Aber ist es überhaupt der richtige Pete, der lange nicht mehr öffentlich aufgetreten ist, oder sind die Krisen-Gebeutelten einem Betrüger aufgesessen? Ein Roadtrip nimmt seinen Lauf, der die Gruppe mit ihren Abgründen konfrontiert und bei dem niemand je in dem versprochenen Camp anlangt.

     

    LESEPROBE

    LESEPROBE_Midlife-Trip_Theaterstück_Victoria Hohmann

     

    Gestaltung/Satz: Andreas Vierheller
    KI-generiertes Bild: Manuel Jacob
  • Podcast: beans & books

    Podcast: beans & books

    Ich bin jetzt auch als Podcasterin unterwegs:
    Beans & Books ist ein Podcast über das Büchermachen. Wir plaudern bei einer gepflegten Tasse Kaffee über die Herausforderungen des Büchermachens – vom Schreibprozess über das Selbstverlegen bis hin zur Verlagsbranche und stellen euch nebenbei unsere Lieblingsroasts vor. Am Mikrophon begrüßen euch die Autorin, Textkünstlerin und Verlegerin Victoria Hohmann und der Mediendesigner Andreas Vierheller – (in Zukunft) außerdem viele spannende Gäst:innen.
    In der ersten Folge »Vom Anfangen. Das erste Buch« sprechen @andreas.vierheller und ich bei einer Tasse Wood Grouse Coffee (unbezahlte Werbung) über ihre Anfänge beim Büchermachen: Wie sich aus dem ersten Buch ein Verlag entwickelte. Welche gestalterischen Fragen sich stellten. Wie man mit nur einem Buch einen Messestand bestückt. Warum Buchrücken im Regal oder auf dem SuB eine Wissenschaft für sich sind. Und welche Überraschungen beim Unboxing der ersten Druckexemplare ins Haus flattern können.
    Das und mehr erfahrt ihr in der Premierenfolge von Beans & Books.
    Wood Grouse Coffee gibt’s in Berlin z.B. bei 9 grams coffee truck, Mittenwalder Straße 47, 10961 Berlin-Kreuzberg
  • Die erste OffBeat-Publikation: Potenz.

    Die erste OffBeat-Publikation: Potenz.

    Potenz. Ein Langgedicht. 

    einfach gestrickt

    lässt er das wollen fallen 

    Potenz, die (Substantiv, Femininum) – Herkunft aus potentialat ‘Vermögen, Kraft, Macht, Gewalt, Zeugungsfähigkeit’ < potēns ‘mächtig, vermögend, fähig, einflussreich, stark’ ↗ potent adj. ‘stark, mächtig, zeugungsfähig’.

    Potenz als männlich konnotierter Begriff. Kraft, Macht, Gewalt, Stärke, Einfluss üben in der Regel Männer aus. Zeugungsfähigkeit als Schlüssel der Reproduktion, als Familien erschaffend, konstituierend, Geschlechter, Häuser, das Fortbestehen der Menschheit sichernd. Dazu Fähigkeit und Vermögen, das auch als finanzielles gelesen werden kann, die Männern zugesprochen werden, von Geburt an. Weil Mann ein Synonym für Mensch ist und Frau ein Synonym für Rippe. Belanglos, dass Frauen Menschen in ihren Gebärmüttern bauen. Was zählt ist der Same, Eier sind egal, liegen da so im Regal des Unterleibs des Weibs. Das Schwach ist, ein Frauenzimmer. Dagegen das Mannsbild. Heraus in die Welt tritt es, um sich, aktiv, stark, zerstörerisch, mächtig, prächtig. Zierlich rankt sich die Rose um den Herrscher, ihn zu zieren. – Ein Ausschnitt haarsträubender, eingetrichterter, binärer Narrative. Die Potenz dieser Narrative potenziert sich mit jedem Individuum. Mythen, Märchen, Muster, Traditionen, die uns mitgegeben werden, sich in uns festgesetzt haben, in denen wir uns versponnen haben und sie aufgrund dieser Jahrhunderte währenden Weitergabe als Wahrheit und Wurzeln empfinden. So tief sitzen diese Erzählungen, sitzt der Glaube zu wissen. Schwierig, da an Perspektiven zu rütteln, andere Perspektiven aufzuzeigen, andere Narrative zu etablieren. Viele Vorstellungen haben sich so fundamental festgesetzt, dass wir selbst als Verfasser*innen, als Urheber*innen dieser Narrative kaum mehr vorstellbar sind. Stößt man also gegen eine alte Vorstellung, um sie ins Rollen zu bringen, wird der Stein des Anstoßes flugs von Konservativismus im Boden zementiert. Veränderung ist nicht gewünscht, wird als gefährlich, als Bedrohung erlebt.

    Wie die Schale aufbrechen? Die Nuss knacken? Ohne Angriff, ohne Ohrfeige, ohne Maulschelle. Gibt es da überhaupt eine Möglichkeit? – Humor als Weg. Lachen, das befreit, verwandelt, Perspektiven verschiebt, eine Distanz zu den eigenen Narrativen herstellt. Humor schenkt Abstand, der Neues ermöglicht, eigene Ansichten hinterfragt. Etwas weglachen, sich einen Weg lachen. Schmerz und Scherz. Liegen nah beieinander, können, und können sich guttun.

    Ich habe versucht, einen Text zu schreiben, der eingefleischte Narrative humorvoll als selbstverschuldete Narrheiten enttarnt. Als Geschichten, die wir uns erzählen und die nicht auf einer mythischen, grundsätzlichen Wahrheit basieren. Sondern vielleicht auf nichts als kalkulierter Selbstbegrenzung. Die Grenzen aufhebeln. Das Hirn frei machen, neue Synapsen bilden, andere Bilder, Verständnisse von Welt kreieren – Anliegen des Texts. Wir sind alles, was wir uns erlauben zu sein. Etikette kommt von. Genau.

    Wir meinen, eine Vorstellung davon zu haben, was eine Frau, was ein Mann ist, hängen einem dualistischen Weltbild an, das uns vermeintlich Sicherheit gibt. Besonders vermeintlich in unruhigen Zeiten. Aber Sicherheit finden wir nicht an Grenzen, an Grenzzäunen, sondern an offenen Grenzübergängen, ohne Grenzkontrollen, denn dann leben wir in Frieden. Potenz möchte Linien verschieben, in Wellen verwandeln, auflösen. Der männlich-sexistische Blick wird invertiert. Was dabei entsteht ist daher kein weiblich-sexistischer Blick, auch nicht ein weiblich-sexistischer Blick verstellt und voreingestellt durch einen männlich-sexistischen Blick, sondern ein Blick, der die Formen verflüssigt und ad absurdum führt. Konsequent invertiert werden Macht-Asymmetrie und Zuschreibungen überraschenderweise nicht zum Gegenteil, sondern der Dualismus bröckelt, gerät ins Wanken, funktioniert nicht mehr.

    Ich hoffe auf dieses einfache Gegenmittel, eine Art Gegengift, das nicht in ein Gegenteil verkehrt, sondern so etwas wie neutralisiert, Narrativen ihre Wirksamkeit nimmt, sie aufhebt und in die Luft wirft. Den Dualismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Den Schwung dieses Gegners nutzen. So ernst es auch ist. Mit befreiendem Lachen, das Distanz schafft und Nähe. Ich hoffe, dass dieser Text ein Beitrag sein kann. Zweifel an Tradiertem nährt, Offenheit mehrt.

    Ich freue mich auf Leser*innen.

    männer in röcken

    das ist doch keine revolution mehr

     

    Vorbestellungen an: info@victoriahohmann.de

    Oder im VHV-Verlagsshop: https://vhv-verlag.de/produkt/potenz-jetzt-vorbestellen/

    Danke. <3

  • Mein neues Label: OffBeat-Publishing

    Mein neues Label: OffBeat-Publishing

    Ich starte ein neues Publikations-Projekt: OffBeat-Publishing. Mein neues Label. Als Self-Publisherin. Ich finde, auch bedingt durch die Care-Arbeit, nur noch Zeit für das Wesentliche: meine eigenen Schreibprojekte. In den letzten sechs Jahren habe ich unglaublich viel über das Büchermachen, die Buchbranche, den Literaturbetrieb gelernt. Dafür bin ich sehr dankbar. Jetzt ist es Zeit, wieder neue Wege zu gehen. Auf die unter dem VHV-Banner erschienen Bücher bin ich stolz und dankbar für das Vertrauen so vieler Autor*innen und Leser*innen. Danke. Die VHV-Titel werden als eine Art Backlist sichtbar und teils bestellbar bleiben. Die Mediathek für Kurztexte (eDition) möchte ich längerfristig umgestalten und weiter befüllen. Wohin Offbeat-Publishing sich entwickelt, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Für mich ist nur klar, dass ich anders weitermachen muss.

    Es beginnt mit einem neuen Buch. Wer hätte das gedacht.

    Mehr dazu in Kürze.

     

  • Roadtrip DE

    Roadtrip DE

    Prolog

    Urlaub in Deutschland. Nicht an der Nord- oder Ostsee, nicht in den Bergen – sondern mitten in Deutschland. In Käffern in Ostwestfalen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das war für mich bis vor Kurzem unvorstellbar. Davor hatte ich fast Angst. Weil alles so blau und braun. Aber da waren die 3 Faktoren: Kita-Ferien, Haushaltssparkurs, nachhaltiges Reisen. In der Summe die Idee: Roadtrip DE. Ich habe noch nie ein Auto besessen. Als ich im Jahr 2000 meinen Führerschein machte, stand für mich fest: Eigenes Auto – nur elektro oder Wasserstoff. Ich habe damals nicht gedacht, dass es erst 23 Jahre später in dieser Hinsicht allmählich vernünftige Angebote geben würde. Und nie nie niemals, dass es 23 Jahre später dafür immer noch keine wirkliche Infrastruktur geben würde. Schwerfälliges DE. Als Stadtbewohnerin fahre ich Rad oder Öffis. Und bei Langstrecken durch die Republik immer schon Zug. Trotz des Erfindungsreichtums der DB. Da mir als versierte Bahnfahrerin klar war, dass eine Zugtour mit einer Dreijährigen kreuz und quer durch Deutschland leider nicht als Urlaub zu bezeichnen sein würde, mieteten wir ein Auto. Immerhin ein Hybrid. Und immerhin besser als eine Flugreise. Das Auto war geräumig. An die Bequemlichkeiten des Stauraums gewöhnten wir uns schon beim Einräumen – beim Ausräumen wurden wir dann gefragt, ob Umzug…

     

    Sachsen-Anhalt

    Ich bin in Sachsen-Anhalt noch nie Landstraße gefahren. Überall habe ich Deutschland-Flaggen erwartet und eine komische Stimmung. Es gibt allerdings (zumindest auf unserer Route) keine Deutschland-Flaggen, nicht eine einzige. Die Stimmung ist nicht anders als irgendwo auf dem Land. Viele Orte sind sogar ziemlich schnuckelig. Fast scheint es möglich, anhand des Zustands der Orte, anhand der Gärten und Blumen, der Fassaden und Eingänge, auf den Gemütszustand und die politischen Tendenzen vor Ort zu schließen. Oder wäre das vorschnell? Manchmal habe ich Lust auszusteigen, manchmal das Bedürfnis weiterzufahren. Wir sind unterwegs auf den „Himmelswegen“. Das Museum für Frühgeschichte in Halle, wo die berühmte Himmelsscheibe von Nebra aufbewahrt wird, habe ich schon mehrfach besucht, darum steuern wir es nicht an. Auf dem Roadtrip interessieren generell mehr die Orte, die mit der Bahn nicht oder nur mühselig erreichbar sind. Auch Goseck, mit seinem 7.000 Jahre alten Sonnenobservatorium, habe ich schon einmal aufwendig per Bahn erreicht – aber bisher nicht Pömmelte. Pömmelte, das „deutsche Stonehenge“ – wie das 4.000 Jahre alte Ringheiligtum beworben wird.

    Mit frisch fertiggestelltem Besucher:innenzentrum aus Lehm (steinzeitliche Bauweise), das sich toll in die flache Wildwiesenlandschaft in Nähe der Elbe einfügt. Außer uns sind eine Handvoll anderer Besucher:innen zugegen, darunter Camper:innen und Radfahrer:innen (auch schöne Reiseweisen). Ein Stück entfernt vom Besucher:innenzentrum gibt eine große Aussichtplattform auf die Anlage. Drauf- und Überblick von oben lohnen sich. Sieben Ringe hat das Ringheiligtum. Anders als in Stonehenge sind sie aus Holz, aber die Maßstäbe beider Anlagen sind gleich. Durch die Pfahltore mit Dekorationsmotiven der Schnurkeramiker:innen, Begründer:innen der Anlage, zum Zentrum der Anlage vorzudringen bedeutet, sich ins Zentrum des Universums zu begeben. Vorbei am Graben für Opfergaben, die hier deponiert wurden, durch den äußeren Ring, in dem die Holzstämme dicht an dicht stehen, sodass im Zentrum der Kreise eine außergewöhnlich Akustik herrscht: Spricht man hier, schallt es durch das ganze Rund. Hier fanden Versammlungen statt, Feste, mit spirituellem und gesellschaftlichem Hintergrund – und das ist vor Ort sofort spürbar. In diesem Globe, diesem Stadion, wo das Zentrum zur Bühne wird, wo man evt. im äußeren Ring an den Pfählen saß, vielleicht aß, zusah, zuhörte. Eine Hälfte des Runds ist den Männern und Kriegern gewidmet (nach Bestattungsfunden und Deponierungen zu urteilen), eine Hälfte des Runds den Frauen. Wobei nicht klar ist, wie streng hier die Aufteilung war. Schließlich ist es ein Kreis. Um den her eine stattliche Siedlung lag, eine richtige Stadt von ca. 1.700 Einwohner:innen. Dort wurde bereits vor 6.000 Jahren gesiedelt, dort lebten die Menschen der Schnurkeramikkultur (3.000 – 2.200 BC), ansässig in großen Teilen Nord-Osteuropas, später auch gemeinsam mit solchen der Glockenbecherkultur (2.600 – 2.200 BC), aus denen die frühbronzezeitliche Kultur der Aunjetizer hervorging – die um 2.000 BC die Anlage gezielt abbaute. Warum, ist eines der vielen Rätsel prähistorischer Archäologie. Wir lassen den Ort wirken. Auch die Wildblumenwiesen und das Sonnenblumenfeld nebenan. Picknicken unter dem einladend ausladenden Flachdach des neuen Besucher:innenzentrums an einem der Picknicktische. Pömmelte-Picknick. Das gefällt unserer Tochter. Zum Zwillingsheiligtum, der Kreisgrabenanlage Schönebeck, schaffen wir es nicht, da Regen einsetzt und andere Ziele locken.

    Ü 30 Grad, sengende Sonne. Parken am unteren Besucher:innenparkplatz der Arche Nebra. Ein Bauwerk, der goldenen Barke bzw. dem goldenen Schiff auf der Himmelscheibe nachempfunden. Ein Schiff, das nicht nur unterwegs ist in astronomischen Gewässern, sondern auch von einer realen Reise kündet. Schon in der frühen Bronzezeit war die Welt vernetzt, globalisiert sozusagen. Gehandelt wurde über ganz Europa und darüber hinaus, von Irland, Cornwall bis hin nach Zypern und in den nahen Osten, nach Babylon, von Ägypten bis Dänemark, Schweden, von Südspanien und Marokko bis an die baltische Küste und nach Mittel- und Osteuropa. Handelswege waren die großen Flüsse, Donau, Rhein in Mitteleuropa, die Meere. Man handelte Bernstein, Gold, Kupfer, Zinn, Schmuck, Keramik, Stoffe. Ein intensiver Wissensaustausch fand schon vor 4.000 Jahren statt und früher, wie etliche Funde und Befunde erzählen. Diese Tatsache war eine wesentliche Erkenntnis für mich während meines Archäologiestudiums. Ich hatte mir das Leben früher Kulturen immer lokal vorgestellt, mit gelegentlichen Wanderungen. So typisch altsteinzeitliche Klischees. Nie darüber nachgedacht, wie Gesellschaften miteinander seit der Jungsteinzeit, seit der sog. neolithischen Revolution, dem Beginn von Ackerbau und Sesshaftigkeit (übrigens mittlerweile wieder eine diskutierte Theorie), in Austausch standen. Überhaupt nicht daran gedacht, dass das schon lange oder schon immer normal war. (Wahrscheinlich plus aller daraus resultierender Konflikte, Vorteile, Entwicklungen etc.) Im Zuge der Rohstoffsuche und des Handels in der Bronzezeit zielgerichtet global wurde.

    Und dann betreten wir diese symbolische Arche auf einem Acker in Sachsen-Anhalt. Angenehm klimatisiert. Und angenehm kosmo(s)politisch. Ein großartig umgesetztes Museum, das im Innern die Himmelscheibe vielschichtig begehbar und erlebbar macht, plus Planetarium. Das Restaurant mit Terrasse und seinem malerischen Ausblick auf das Waldpanorama des Naturschutzgebiet Saale-Unstrut, ein gut ausgestatteter Museumsshop sowie eine Spielecke für Kinder mit vielen lustigen prähistorisch-archäologischen Spielsachen, sorgen für komplette Begeisterung. Die Arche ist bunt bevölkert. Zur 3.7 km weit entfernten Fundstelle der Himmelsscheibe fährt stündlich ein kleiner Bus. Beim Anblick des heraufziehenden Unwetters beschließen wir nach ausgiebigem Museumsbesuch, ihn doch lieber nicht zu nehmen. Stattdessen den Wanderweg durch das Naturschutzgebiet dorthin zu probieren. Wo Kunstinstallationen am Wegesrand installiert sind. Der Wanderweg ist so schön, mit all der Steineichen-Holunderwildnis, dass wir schließlich die größte Strecke zurückgelegt haben. Im Schweiße unseres Angesichts und beim Anblick unserer müden Tochter im Reisebuggy sowie der gewittrig sich auftürmenden Wolkenmassen in unserem Rücken, beschließen wir dann doch die Rückkehr zum Parkplatz. Schließlich haben wir gefunden, was wir gesucht haben – auch ohne den tatsächlichen Fundort. So eine wundervolle Gegend – die ca. 1.000 Grabhügel birgt. Und über die wir auch gelernt haben, dass im Nachbarort Memleben nicht irgendein Kloster steht, sondern es Kloster und Kaiserpfalz der Ottonen war, einer ganzen Herrscherdynastie, und dort das Herz Otto des Großen begraben liegt. Nebra und Umgebung (bzw. Himmelsscheibenfund übrigens im Ortsteil Unterwangen) hatten offenbar auch um 1.000 AC eine besondere Anziehung. Und haben sie bis heute nicht verloren. Unbedingt hinfahren.

    (Ost-)Westfalen

    Weiter führt unsere Reise, zu einem Ort der seit der Steinzeit, sogar seit der Altsteinzeit um ca. 10.000 BC, eine herausragende Bedeutung hatte – und das im wahrsten Sinne. Die Externsteine in Ostwestfalen. Der „deutsche Ayers Rock“, wie jemand uns erklärt. Sandsteinformation der Kreidezeit. Ich hab sie mir irgendwie größer vorgestellt. Trotzdem beeindruckend. Und gut, dass das Wetter-Chaos mit Nieselregen, heiter-bis-wolkig, plötzlicher Starkregen an diesem Tag nicht allzu viele Besucher:innen anzieht. Nur ein Bruchteil der Parkplätze ist belegt. Und wir können darum ziemlich gechillt mit zwei anderen Familien und einer Handvoll weiterer Staunender die Steine erklimmen. Ohne Stau auf den glitschigen Stufen. Umher mächtiger prächtiger Teutoburger Wald. Die hier sich kreuzenden Fernwanderwege Nordkap – Sizilien und London – Moskau in nächster Nähe. Ich fühle mich auf den Spuren von Vorfahren, von Vorläufern vieler Bewegungen. Diese europäischen, diese globalen Wege, Vernetzungen. Überall laufen wir denen über den Weg, gehen sie selbst, leben Resultate. Manche Steine verweilen auf den anderen. Manche Heiligtümer werden nach ihrer Zeit wieder abgetragen. Ein Kommen und Gehen, Stehen, Klettern, Tanzen und vor dem Regen in den Unterstand flüchten, der auf vier Rädern steht. Übernachten im Hotel am Bahnhof eines benachbarten Ortes. Eine Stadt, angeblich. Wo mein Mann geboren wurde und seitdem nie mehr war. Ein griechisches Restaurant, in dem wir uns in die 90er versetzt fühlen. In welcher Zeit sind wir gelandet? In den nächsten Tagen: Erkunden der Umgebung. Wo mein Mann als Kind zeitweise mit seiner Familie in einem alten Bauernhof lebte. Er hat keine Erinnerungen daran. Aber das Dorf erinnert sich. Wie im Märchen parken wir zufällig vor dem Haus der damals vor Ort besten Freunde seiner Eltern. Alle Türen öffnen sich uns, wie verabredet. Ein Türöffner ist auch unsere Tochter, die im gleichen Alter ist wie die Tochter des Sohns der elterlichen Freunde, der gerade draußen mit ihr spielt. Drei Generationen am Gartenzaun. Drei Sätze, dann liegen sich alle in den Armen. Wir reden, spielen, telefonieren nach Griechenland zu Oma. Vergessen die Zeit. Bleiben, bis es dunkel wird.

    Weiter führt unsere Reise nach Bielefeld, wo andere Freunde uns bereits erwarten. Die uns ins Bauernmuseum entführen, ein Open-Air-Museum mit alten Fachwerkgebäuden, einem Café, wunderschönen Gärten, mit Blumen, Nutzpflanzen, einer Laube, Obstwiesen gibt es auch, Kleintiere und einen Spielplatz. Wir spielen Fußball unter einer riesigen Magnolie, Weltenbaum vor dem Fenster neben dem Frühstückstisch, reden bis in die Nacht. Brechen irgendwann auf, nach Herford, ins MARTa Herford Museum für zeitgenössische Kunst, dieses abgefahrene Bauwerk von Frank Gehry in diesem Städtchen, das sich als überraschend hübsch entpuppt, wo wir uns eine KI-Ausstellung anschauen und Schwarz-Weiß Fotografien von Transpersonen aus Berlin. Zeiten und Orte verschwimmen zusehends.

    Wir fahren weiter. Durchs Sauerland. Einmal quer durch. In jedem dritten Ort Verwandtschaft. Seit Jahrhunderten. Dieses zerfurchte Sauerland. Zu dem ich jegliche Beziehung immer verweigern wollte. Wo mich Ortsnamen treffen. Wo ich mir ein dickes Fell zulegen will. Wo wir in Meschede anhalten, dem Geburtsort des Malers August Macke. Nur kurz. Gucken und pinkeln. Wo Vorfahren das Stift im 13.Jahrhundert mit Lebensmitteln belieferten. Wo zuvor die Hl. Walburga wirkte. Nach der auch später noch Mädchen der Bauernfamilien benannt wurden. Dieses schwarze Sauerland. Das mir aufstößt. Mit dem ich mich aber auch konfrontieren möchte. Wie mit dem Siegerland, das wir ansteuern. Wo viel Leben unter Tage stattfand. Die Verwandtschaft ortsansässige Brauereien weltbekannt trinken half. Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Überall diese Wege, Pfade, Kabelstränge, Kabelsalat. Der im Garten meiner Eltern ist geschossen. Die Zucchini wuchern, grüne und gelbe Archen. Genau wie die Gurken. Rumgurken. Neues Altes anschauen. Altes. Und ganz Neues – wie den Spielplatz am Oberen Schloss in Siegen. Das ich bei diesem Besuch ziemlich schön finde. Dazu der coolste Spielplatz, auf dem wir jemals waren. Das definitiv. Den die Bürger:innen mitgeplant haben, wie uns eine nette Anwohnerin erzählt. Weil nur gemeinsam mit den Bürger:innen politisch Gutes und Nachhaltiges entsteht. Unterschreiben wir. Trinken Kaffee. Sind zu träge für Museen. Ernten Brombeeren im Wald. Feiern Geburtstag. Und weiteres Wiedersehen nach langer Zeit. Schauen Bilder an in Opas Atelier. Füttern Rehe. Zählen Sternschnuppen. Was man als Mensch eben so macht. Irgendwas ist in Bewegung. Die Zeit unbestimmt, ausgedehnt.

     

    Thüringen und wieder Sachsen-Anhalt

    Wir bleiben eine Weile bei den Feen. Dann fahren wir zu Goethe. Und Schiller. Die immer noch auf dem Platz vor dem Theater stehen. Übernachten in einem Haus, wo einige Jahre lang Rudolf Steiner lebte. Frühstücken bei Schiller. Latschen durch Goethes Garten. Besuchen das Bauhaus-Museum. Feininger, Schlemmer, Gropius, Klee, Kandinsky, Stölzl. Vor 100 Jahren fand von August bis September die immer noch Maßstäbe setzende Bauhausausstellung statt. Wagenbachlampen erhellen uns. Wie wollen wir wohnen – fragt die Themenausstellung. Uns?

    Wir fahren weiter nach Dessau. Lassen uns inspirieren von den https://www.bauhaus-dessau.de/de/architektur/bauhausbauten/meisterhaeuser.htmlMeisterhäusern. Sind am frühen Morgen die Ersten. Stehen in den Ateliers der Künstler. Wie Kunst die Welt bewegt, wandelt. Schauen Fotos, wie die Guggenheims auf Besuch bei Kandinsky im Wohnzimmer sind, heute wir. Schauen Fotos vom Atelier Klee und den vielen Leinwänden, an denen er parallel arbeitete. Inspizieren Feiningers Esszimmer. Später Schlemmers Bühne am Bauhaus. Dort auch ausgiebig die Mensa und den Kinderspielplatz schräg gegenüber. Finden das Bauhaus Museum Dessau fast schwächer als das Bauhausmuseum Weimar. Oder wir haben uns statt gesehen? Kuchen essen, während unsere Tochter den Museumsspielplatz in der großen Halle mit Kinder-Bauhausmöbeln auskostet.

    Wie wollen wir wohnen? Jedenfalls nicht in einem großen Berliner Mietshaus, in dem die Hausverwaltung vor ein paar Monaten gewechselt hat und nun ein harscher Wind weht. Bei unserer Ankunft: Aushänge, die die Entsorgung von Kinderwagen androht, wenn man sie weiter in die drei Meter breiten Flure stellt – ohne alternative Stellplätze anzubieten. Eine aufgebrochene Gartentür, zerstörte Gartenmöbel, das geklaute Fahrrad einer Nachbarin. Weil die Handwerker, die mit der Luxussanierung begonnen haben, ständig die Vordertür auflassen. Ein anderer Nachbar, der von einem Junkie berichtet, der nicht mehr aus dem Hausflur wollte, bis die Polizei kam. Die allseits beliebte und jetzt eingeschläferte Hündin der Hauswärtin. Erste Auszüge jahrzentlanger Mieter:innen. Hallo Berlin, hallo Jetzt und Hier. Auf dem Marheineke Marktplatz treffen wir auf ein Pärchen mit Tochter im gleichen Alter. Die Kinder plantschen im Wasser. Die Eltern erzählen: Sie sind vor einer Weile aus Kreuzberg zurück in eine Kleinstadt in NRW gezogen. Davor eineinhalb Jahre Rechtsstreit mit der Hausverwaltung. Erst war die Kleinstadt gewöhnungsbedürftig. Aber mittlerweile haben sie drei weitere Familien kennengelernt, die zurück aus Berlin sind. Gemeinsam mit denen lasse es sich aushalten. Außerdem seien die Großeltern nicht weit und die Natur. Und in einem der Cafés gibt es jetzt auch Kaffee mit Hafermilch, schließlich schreibe man das Jahr 2023.

    Epilog

    Die Koffer noch nicht ausgepackt, räumen wir den Garten auf. Die Hauswärtin hat eine neue Bank für die von uns vor einigen Jahren für die Hausgemeinschaft selbstgebaute Gartenterrasse besorgt. Wir beschließen ein Gartenfest zu feiern, mit den neuen Luxus-Nutznießer:innen. Damit sich die, die hier im Haus geboren wurden oder seit Jahrzehnten hier leben und die Zugezogenen kennenlernen. Damit es unser Haus bleibt, zumindest noch ein Weilchen, und die Fassade nicht sobald schwarz gestrichen wird.

     

  • Was soll das denn – eine Lyrik-Performance

    Was soll das denn – eine Lyrik-Performance

    Ideen kommen spontan. Beim Machen, beim Brainstorming, einfach zwischendurch. Diejenigen der Kategorie „einfach zwischendurch“ sind solche, für die oft keine Zeit bleibt, evt. weil es mehr Gags sind, Schaumkristalle und die sich manchmal einfach wieder verflüchtigen. Was soll das denn – gehört zu letzterer Kategorie. Es ist eine Idee, die mir tatsächlich auf einer Toilette kam. Plötzlich war da dieser Text und sein Anfangsrhythmus. Dieses Mal habe ich das Flüchtige bewusst gepackt und im Handumdrehen in etwas Sichtbares verwandelt. Das ging sehr schnell.

    Die Frage ist, wann man zugreifen sollte. Wann man zugreift. Dem Augenblick mehr Aufmerksamkeit schenkt oder jegliche. Im künstlerischen Schaffen immer wieder aufs Neue. Und dabei die Bewertungen, die eigenen Vorurteile ausschaltet. Einfach machen. Dem Bauchgefühl folgen. Dem ersten Impuls.

    Was soll das denn – ist eine Spielerei. Wie alles, letztlich, klar. Viel Spaß damit!

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  • FADO – ein Texperiment

    FADO – ein Texperiment

    FADO – eine vollmundige Trunkenheit ist eine Remix eines Theatermonologs von 2004 mit neuem Text von 2018. Ein Textgewebe. Ein Sprachlabyrinth. Eine Spur. Ein fliegender Klangteppich. Mit Flausen darunter. Eine Suche. Eine Sehnsucht. Und wie so oft ein Versuch, Textnormen abzulegen, mich zu befreien von jeglichen Vorstellungen Verstellungen wie Text zu sein hat. Darum alles auch ein Scheitern, ein Labern und Lallen, ein worttrunkener Rausch Schwips.

    Im Labyrinth des Sprachmultiversums…

    Veröffentlicht habe ich ihn erstmals 2018 in meinem Textband Vom Dazwischen, VHV-Verlag. Das Buch ist mittlerweile so ziemlich vergriffen. Ein paar Restexemplare habe ich noch, die per Mail: info@victoriahohmann.de bestellt werden können.

    Den ganzen Text (22:57 min) gibt es hier auf der Page unter: Audiobooks & Videos

    Danke fürs Lesen und Hören.

    HÖRPROBE (2:57 min):

  • ich sage – Poetry Video

    ich sage – Poetry Video

    Momentan probiere ich neue Formate mit meinen Texten aus. So ist auch das Video ich sage entstanden, ein Textausschnitt aus Der Frau, VHV-Verlag, 2022. Gesprochen/laut gelesen wirken Texte ganz anders. Erst recht, wenn Musik ins Spiel kommt. Dazu bewegte Bilder.

    Hier ein paar Stills:

     

    Schaut selbst.

    ich sage, lyrics & film: victoria hohmann, 2023

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  • WEGA – ein Poetry-Video

    WEGA – ein Poetry-Video

    2022 ist eine Verfilmung meines Textes WEGA (zu finden in DER FRAU – Texte, VHV-Verlag) entstanden. Im Juni war ich in Dänemark unterwegs und habe auch einige Tage im Nationalpark Mols Bjerge verbracht. Die Zeit dort und das Naturerleben waren sehr intensiv und praktisch aus der Manteltasche sind dann mit dem Phone spontan ein paar Videoaufnahmen entstanden. Zurück im Atelier habe ich diese Bilder um Butterfly-Aufnahmen ergänzt und alles dann auf den Text WEGA geschnitten. Es hat sich einfach so gefügt. Wind, Wetter, Schmetterling, sprechende Orte. Schaut selbst.

    WEGA gibt es in ganzer schöner Länge von 7:40 min auf YouTube zu sehen. Einen Ausschnitt von 1.35  min findet ihr auf Vimeo: https://vimeo.com/user180426490

    Und hier noch die Projektbeschreibung für euch:

    WEGA – eine Textcollage. lyrics & film: Victoria Hohmann, 2022. WEGA ist eine Textcollage, eine Suche, ein Streifzug, ein Experiment, Lied, Bewusstseinsstrom, eine dadaistische Skulptur in bewegten Bildern, ein Cinéma cérébral, ein getönter Stimmfilm, ein polymorphes Ballett – hier in einer zufälligen Vormittagslesart der Autorin verlautet, Sonne in Butterfly, 12.Haus, Fenster offen.

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  • Normandie – Teil 2

    Normandie – Teil 2

    Und dann fahren wir hin. An den Ort, der uns überhaupt bewog, in die Normandie zu reisen, nachdem uns vor einem Jahr die Einladung zur Hochzeit erreichte und damit eine Reiseplanung begann: Omaha Beach. Damals ahnten wir nicht, dass es in naher Zukunft einen Angriffskrieg in Europa geben würde, dass eine solche Zeitenwende zu unseren Lebzeiten überhaupt eine Option sein könnte, waren schon ausreichend schockiert vom überall erstarkenden Nationalismus, den damit verbundenen Spaltungstendenzen und Narrativen.

    Es ist ein windiger Tag, an dem die vorausgesagten Regenschauer wunderbarerweise ausbleiben. Der Wind fegt den Himmel sogar wolkenfrei. Erst auf der Rückfahrt über die Mautstraße wird uns ein Platzregen zu einem bedächtigen Tempolimit zwingen, mit einer Sichtweite nur knapp bis zu den Rücklichtern des voranfahrenden Wagens. Jetzt kurven wir in unserem klobigen Hybrid über kleine Sträßchen, durch Miniaturortschaften mit Häuschen und Gehöften aus Stein, wie Filmkulissen, man kennt das, hat das schon etliche Male in Spielfilmen über den Zweiten Weltkrieg gesehen. Die Straße, mehr ein geteerter Feldweg, und Google Maps leiten uns entlang eines Wäldchens, an Weiden vorbei, eine kleine Anhöhe hinauf und: Da liegt sie plötzlich, diese Bucht. Mit ein paar parkenden Autos auf einer Wiese unten am Ufer, die hier der offizielle Parkplatz ist. Daneben ein halb verfallener Spielplatz, eine ähnlich anmutende öffentliche Toilette, ein Strandsegler- und Kajak-Verleih zu Füßen einer sich gut integrierenden, am Hang dieser Seite der Bucht liegenden kleinen Ferienbungalowanlage. Niemand ist zu sehen. Doch, am Strand spazieren vereinzelte Tourist:innen.

    Wir gesellen uns nach kurzem Spielplatztest dazu. Laufen eine Betonrampe für Boote hinunter auf den Sand. Stehen da. Blicken über die Bucht. Die sich in einem endlosen zehn Kilometer langen Bogen erstreckt, in der Ferne in Felsküste übergeht. Ich habe das Bedürfnis, meine Schuhe auszuziehen. Wie man einen Hut abnimmt, wenn man eine Gedenkstätte betritt oder einen sakralen Raum. Es ist Ebbe. Darum ist der Sand bereits kurz hinter der Betonrampe feucht und in den vom Meer hinterlassenen Schlieren steht Wasser. Dahinter breite Priele, eine Sandbank, dann die sachten Wellen des Ärmelkanals. Mit meiner Tochter an der Hand gehe ich vor zum Meer. Nehme sie in der seichten Brandung auf den Arm. Schaue Richtung Utah Beach, Richtung Gold, Juno und Sword Beach. Kaum ein Mensch zu sehen, kein Boot, kein Schiff und doch ist alles angefüllt mit einer geisterhaften Präsenz von Kriegsschiffen, Landungsbooten, Panzersperren, Stacheldraht, Soldaten. Oder ist das meine Phantasie? Habe ich zu viele Bilder des D-Day vor Augen? – Eine seltsame Atmosphäre. Ein seltsamer Ort. Es ist anders hier als an allen Orten, die ich bisher in meinem Leben bereist habe. Und das liegt nicht an meiner sicherlich ausgeprägten Imaginationskraft. Die Vergangenheit ist hier. Anwesend. Vielleicht, weil sie die Gegenwart bis heute bewegt. Weil das hier nicht irgendein Ort ist. Weil ich diesem Ort im Grunde mein Leben verdanke, meine Freiheit, die Werte, mit denen ich aufwachsen durfte, den Frieden. Weil es ohne diesen Ort Europa nicht gäbe, mit dem längsten und beständigsten Frieden seiner Geschichte, die Europäische Union, Demokratie und Selbstentfaltung. Ich stehe in den Wellen und spüre diese ungeheure Präsenz des Gewesenen. Auch die Grausamkeit, die Gewalt. Und dann meine Tochter auf meinem Arm. Und den Sand zwischen meinen Zehen, beim Zurückgehen, auf diesem Strand, auf dem einmal jeder Meter vermint war, alles voller Leichen lag. Wo meine Tochter jetzt steht und mit einer Boje spielt. Und mich überkommt eine unendliche Dankbarkeit, die mich schier zerreißt. Die Tränen laufen einfach runter. Ich habe in meinem Leben schon einige Schauplätze des Zweiten Weltkriegs besucht und versuche, einen Vergleich für diesen Ort zu finden. Aber es gibt keinen. Oder zumindest nicht für mich. Die Anwesenheit der Vergangenheit ist ähnlich intensiv wie in ehemaligen Konzentrationslagern, ist das Einzige, was mir einfällt. Nur dort hat Vergangenheit mich zuvor in meinem Leben ähnlich tief und nachhaltig getroffen. Ohne einen Vergleich der Orte anstellen zu wollen. Nur, um die emotionale Dimension versuchsweise zu verdeutlichen. Weil Omaha Beach ist natürlich etwas ganz anderes. Etwas dem Entgegengesetztes. Und genau das trifft mich als Mensch und ins Herz.

    Wir erklimmen etappenweise den Hügel mit unserem klapprigen Reisebuggy. Vorbei an den deutschen Bunkern des Atlantikwalls, perfide von den Nazis Widerstandsnester genannt, den Memorials für die gefallenen Privates, Corporals, Lieutnants, den Helden der ersten Stunde, der ersten Welle des D-Day – 4.400 junge Männer, Amerikaner, Briten, Kanadier, auch Franzosen und Polen. 2.400 lagen am 6.Juni 1944 tot hier auf dem Omaha Beach, viele erreichten nicht mal das Land. 850.000 Alliierte landeten insgesamt bis zum 30.Juni bei der Operation Overlord, die den Atlantikwall der Nazis durchbrach und eine zweite, kriegsentscheidende Front aufmachte.

    Hier am Hang oberhalb der Dünen treffen wir auf mehr Tourist:innen. Eine Gruppe wird gerade von einem Guide über einen der Bunker informiert. Die meisten kommen vom auf der Anhöhe neben dem amerikanischen Soldatenfriedhof gelegen großen Parkplatz hinunter. Wir hören Französisch, Englisch – britisches, amerikanisches und kanadisches, Niederländisch, Spanisch, auch Schweizer sind unterwegs. Deutsch hören wir nur das eigene, auch wenn wir auf dem Parkplatz unten ein deutsches Nummernschild gesichtet hatten. Sobald wir den Mund aufmachen, werden wir angeschaut. Es ist merkwürdig, an einem solchen Ort Deutsch zu sprechen. Auf der Rückseite einer metallenen Infotafel lese ich mit wasserfestem Marker eine eindeutige Botschaft an Deutsche. Womit hier Nazis gemeint sind. Natürlich aus pubertärer Feder. Trotzdem: Ein fragiler Ort. Meine Tochter rennt nichts ahnend den Hügel hinauf. Will an einem Denkmal hochklettern. Das geht natürlich nicht. Ich muss streng sein. Und das auf Deutsch. Aber wie das klingt. Darum spreche ich sanft. Viel zu sanft für ein Nein. Meine Tochter mag trotzphasig so oder so nicht hören. Die für die meisten hier hoffentlich einfach nur eine Zweijährige ist. Und die dann einige Meter protestierend auf meinem Arm zappelt. Sich dann ablenken lässt. Es ist nicht einfach, diese „Besichtigung“ (wenn man das überhaupt so nennen kann). Weil wir hier irgendwie repräsentativ werden. Für eine Nation. Zumindest ein Stück weit. Obwohl das natürlich völliger Schwachsinn ist. Trotzdem: Wie dem begegnen, allen hier. Wir tragen alle unsere Geschichte im Gepäck. Die von Todfeinden weiß. Wie treffen wir hier aufeinander, als Besucher:innen. Wie lesen wir nebeneinanderstehend hier die Inschriften, wie gehen wir zur Seite, um die Neueintreffenden lesen zu lassen. Wie halten wir hier inne und schauen aufs Meer. Wie beugen wir uns zu den Öffnungen der Bunker. Wie steigen wir die Anhöhe hinauf. Wie mache ich meiner Tochter mit einer Sprache, bei der hier alle hellhörig werden, klar, dass wir erst auf dem Rückweg zu den Pferden auf der nahegelegenen Weide gehen. Wie fotografiere ich diesen Ort mit meinem Smartphone.

    Es ist alles sehr eindrücklich und bewegend. Dabei haben wir den amerikanischen Soldatenfriedhof nicht einmal erreicht. Als es so weit ist, bitten uns Schilder um Andacht, Stille und den vorübergehenden Verzicht auf Essen. Da meine Tochter gerade hungrig wird, probieren wir die Taktik: Bitte sei still und setz dich in den Buggy, dann bekommst du nach dem Rundgang was Leckeres. Das funktioniert zum Glück erstaunlich gut. An einem schlichten Visitor-Centre mit Gedenktafeln vorbei geht es auf den Friedhof. Und der ist überwältigend.

    Schlichte weiße marmorne Kreuze, dazwischen immer wieder weiße marmorne Davidsterne, kurzer grüner Rasen, teils von Bäumen beschattet, wie der Weg, die Wege um und entlang des großen, in Abschnitte unterteilten Friedhofs. Auf der einen Seite läuft man unter Pinien entlang einer niedrigen Steinmauer mit Blick aufs Meer. Auf das die Toten bis heute schauen. Die Namen auf den Kreuzen. Das Todesdatum, der Herkunftsort. An einzelnen Kreuzen lehnen Kränze oder es liegen Blumen davor. Zentral: Eine runde Kapelle, Andachtsort, mit ewigen Lichtern. Am oberen Rand des Friedhofs Gärtner. Die ab und an halbherzig den Laubbläser anschalten, es ist ihnen ganz offensichtlich unangenehm, die Ruhe hier stören zu müssen. Etliche Besucher:innen. Die meisten parken hier oben auf dem riesigen Parkplatz, gehen von hier aus los. Wir mittendrin, die wir wenig sprechen. Weil dieser Dreck aus unseren Mündern kommt. Deutsch. Das uns markiert. Auch wenn es nicht das Deutsch der Nazis ist. Es ordnet uns trotzdem einer Vergangenheit zu, einer Seite, mit der wir uns in keinster Weise identifizieren. Mein Mann nimmt das anders wahr. Hat einen anderen Fokus. Erzählt von der Anfangsszene von „Saving Private Ryan“, die hier gedreht wurde. Aber ganz egal, wer hier was wahrnimmt: Schweigen ist so oder so angebracht. Es verschlägt uns dazu auch einfach die Sprache. Sogar unsere Tochter wird still. Der Ort wirkt. Kurz vor dem Ausgang beginnt sie dann zu singen. Bruder Jakob.

    Der Rückweg ist noch krasser als der Hinweg. Das Erleben des Friedhofs lässt uns den Ort noch intensiver sehen. Der Blick aufs Meer. Die weite Bucht. Eine Busladung Tourist:innen am Strand. Sie verlieren sich in der Kulisse. Veranschaulichen das Ausmaß. Wir können nicht mehr. Zum Glück müssen wir noch Pferde streicheln.

    Über Landsträßchen zuckeln wir anschließend nach Bayeux. Die erste von den Nazis befreite Stadt. Einen Tag nach dem D-Day. Wir parken auf dem Marktplatz. Ein Regenbogen steht über der Stadt. Die sich weltoffen und freundlich zeigt, mit feministischen Graffitis auf Stromkästen, queerem Barista in High Heels, Besucher:innen aus aller Welt in den Straßen, um die Kathedrale, den Arbre de la Liberté, den Baum der Freiheit daneben.

    Wir sind müde, trotzdem sofort verliebt in dieses Städtchen, bedauern, hier nicht einige Tage verbringen zu können. Schlendern bis zum Tapisserie-Museum, das den berühmten Teppich von Bayeux beherbergt, der in 58 Einzelszenen die Eroberung Englands durch den Normannenkönig William the Conqueror zeigt. Unzählige Reisegruppen von britischen Tourist:innen unterwegs. Wir sind in Sachen Historie heute nicht mehr aufnahmefähig, so spannend die britische Geschichte auch ist. (Meinen wir zumindest.) Die Notre-Dame de Bayeux, für die der Wandteppich einst geschaffen wurde, hat die letzten Sightseeing-Energie gefordert. Treten die Rückfahrt an. Kurz hinter Bayeux dann der Wolkenbruch. Wasservorhang. Kilometerlang. Welt unter. Vorbei an Caen, zurück zu Proust. Angelangt zeigen die News auf dem Smartphone-Display, dass es schlecht stehe, um Queen Elizabeth II. Über dem Meer der Sonnenuntergang. Der die Regenfront mittlerweile eine Armlänge von sich weggeschoben hat. Ein alabasterfarbenes Band über dem Ärmelkanal, wie ein strahlendes Leichentuch in Richtung England. Ein erneutes Checken der News ist eigentlich unnötig. Trotzdem. Erst zwei Minuten alt, die Nachricht: Die Queen ist tot. „Der Tag, an dem die Königin stirbt, heißt D-Day. Jeder folgende Tag bis zum Tag der Beerdigung wird als D-Day+1, D-Day+2 und so weiter bezeichnet“ – schreibt das zdf.

    Ich stehe im Abendwind in diesem unwirklichen Zwielicht von Sonnenuntergang auf dem Balkon und schaue, nicht weit entfernt vom proustschen Grand Hotel, gen England. Fasse ihn nicht, diesen Tag. Der groß ist. Der sich verdichtet hat. Der zu mir spricht. Der mir etwas sagen will. Vielleicht über die Zeit. Wenn ich nur eine Ahnung hätte.

  • Texte fürs Theater

    Texte fürs Theater

    THEATER. Passion. Schon immer. Darum bin ich unglaublich glücklich, dass das Theater seit 3 Jahren wieder „aktiv“ eine Rolle in meinem Leben spielt. Ein Traum hat sich erfüllt: Ich schreibe fürs Theater. (Zumindest für den Moment.) Alles begann im Frühjahr 2019 mit einer E-Mail. in meinem Autorinnenpostfach. Seitdem durfte ich bei einer ganzen Reihe von Produktionen des Aktionstheater Pan.Optikum unter künstlerische Leitung von Sigrun Fritsch als Autorin mitwirken. Adaptionen waren dabei, large scale und small scale, Verwendungen von Textteilen für Produktionen, Kreation von Miniaturen für vorbereitende Aktionen langfristiger Projekte (während der Pandemie) und dann vor allem mein erster großer Auftragstext für die Produktion „Le Sacre du Printemps“/Strawinsky. Dafür bin ich unendlich dankbar!

    Die internationale und interdisziplinäre Arbeitsweise der Pan.Optikum-Familie begeistert mich, das Ineinanderfließen und Miteinander von Tanz, Musik, Schauspiel, Videoprojektion, Text, das Inszenieren für den/im öffentlichen Raum, die Mehrsprachigkeit, die Vielfalt, das grenzübergreifende Denken und Planen, das Partizipative auf allen Ebenen. Hut ab vor allen Akteur:innen, vor dieser Initiative, dieser Weitsicht, vor diesem Theaterereignis und dieser Theatermagie!

    Szene aus CAMBIO, künstlerische Leitung: Leonie Fritsch, Foto: Jennifer Rohrbacher 

    Ein Geschenk, für diese besondere Form des Theaters schreiben zu dürfen – die an das Théâtre du Soleil von Ariane Mnouchkine in Paris denken lässt oder der Arbeit von Royston Maldoom ähnelt – wobei Maldoom nicht mit Profis arbeitet – doch wie bei seinen Projekten Rhythm is it! oder Can do can dance (wo ich in meiner Hamburger Theaterzeit an Workshops teilnehmen konnte) geht es wesentlich um die Community, das gemeinsam lernen,  gemeinsam erfolgreich sein.

    Trailer von der Produktion SACRE, künstlerische Leitung: Sigrun Fritsch und Luka Fritsch (alle Rechte: Aktionstheater Pan.Optikum):

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    Witzig, das es sich bei dieser glücklichen Fügung ausgerechnet um ein Theater handelt, das große Platzinszenierungen im öffentlichen Raum vornimmt. Nicht wegen Fame und Money, sondern weil mich das Theater genau da zum ersten Mal wirklich ergriffen hat: auf der Straße. In der Dämmerung. Ein Spätsommerabend. Ich war 7 oder 8 Jahre alt. Ein riesiger (eigentlich) Parkplatz. Teer. Industrie. 60er-Jahre Bauromantik. Zubetonierter Fluss. Und dann dieser Open Air Zauber mit überdimensionalen Kostümen, Stelzen, Hochseil, seltsamen darauf schwebenden, fahrenden Phantasiemaschinen, Wesen, Musikgirlanden aus Boxentürmen, irgendwann Feuerwerk – dessen Geruch ich liebe, ick Pyromanin (natürlich insbesondere in Kombination mit Sekt). Jedenfalls: und hooked.

    Dann kam das Schultheater, eine Hauptrolle in einer schulenübergreifenden Musiktheaterproduktion, dann die Lust, selbst Theater zu machen und eigene Stücke zu schreiben – die ich von da an ständig mit mir herum trug, in Kneipen und on the road Interessierte für meine Projekte sammelte; dann die Stücke selbst, die Probenräume, die Förderung durch die Kulturabteilung des Landes NRW mit 12.000 DM (echt schon laaange her) für Stück Nr. 2, ein Musiktheaterprojekt, die Zeit an den Theaterakademien, das Hospitieren an Stadt- und Staatstheatern, die unzähligen besuchten Theatervorstelllungen, die Workshops, die Performances, das Auf und Hinter der Bühne, dieses mich immer zuhause fühlen und doch nie meinen Platz finden – letztlich die Zweifel, die Depression, der radikale Cut. Aber was man zum Leben braucht, trägt das Leben dann doch immer wieder an einen heran, in neuer Gestalt, auf anderer Ebene…

    schön.

    Alles zum neuen Theaterleben jetzt als extra Menüpunkt HIER.

  • Poetry Videos auf Vimeo

    Poetry Videos auf Vimeo

    Für meinen lyrischen Textband „Der Frau“ habe ich im letzten Jahr vier Hörproben/LitVideos produziert. Die sind so gut angekommen und die Umsetzung hat mir so viel Freude bereitet, dass ich nun vermehrt filmische Lese-und Hörproben realisiere. Diese kurzen Poetry Filme/Videos sind irgendwie die logische Konsequenz meiner Arbeit insgesamt, viele Stränge laufen da zusammen. Zum einen kommt so der Theateraspekt/das Inszenieren auf neue Weise zurück in mein Wirken und Werkeln (und ich habe mich damit wieder mit meinen künstlerischen Wurzeln verbunden), außerdem bietet sich so die Möglichkeit des Vorlesens, ein bedeutender Aspekt für die Vermittlung meiner experimentellen Texte und obendrauf kann ich als Textkünstlerin das unerschöpfliche Spannungsverhältnis von Wort und Bild erforschen, es gibt also dabei auch eine starke Rückkopplung zur bildenden Kunst.

    Auf Instagram habe ich mit Kurzlesungen im Reel-Format begonnen, manche Kurzlesungen stelle ich auch auf TikTok. Die Reaktionen interessieren mich sehr und ich lerne bei jedem „öffentlichen“ Vorlesen dazu. Um einen nachhaltigen Raum auch für die Kürzestvideos zu schaffen, habe ich mich nun für Vimeo als Plattform entschieden. Zuvor habe ich auch YouTube als Plattform ausprobiert (werde das auch weiterhin nutzen), aber für künstlerische/experimentelle Formate ist YouTube einfach der falsche Ort, schließlich geht es mir nicht um einen Verkaufs- und/oder Entertainment-Channel. Noch sind nicht alle Videos auf Vimeo hochgeladen, aber die ersten sechs Filme gibt es schon zu sehen.

    Ich freue mich sehr, wen ihr/wenn Sie neugierig geworden seid/sind.

    Tada: Hier geht es zu meinem VIMEO-Kanal

     

     

  • SPAM-Poetry. Ein Lyrik-Projekt.

    Seit Kurzem schreibe ich zwischendurch SPAM-Poetry. Kein Witz. Wenn auch ein bisschen Fun-Project. Spam ist nicht bloß Müll, sondern sagt viel über gesellschaftliche Prägungen, die uns aufgedrückt werden und täglich unsere eigenen Spamfilter herausfordern. Spam belastet, betrügt, belästigt, ist mehr als nervige Werbung und Massen-Marketing. Welche Phrasen/Mechanismen/(Verkaufs)-Strategien/Werte/Narrative prägen das Spamming – und damit uns? Wie kommuniziert Spam? Was sagt Spam uns über unser Verhältnis zu unserem Körper, zu Körperlichkeit etc.?

    Eine stetig wachsende Sammlung.

    Arbeitstitel: „Langweilig beim Vögeln?“

     

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    Guten Abend info. info, zu früh gekommen? 
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    Hey Hey, Du hattest mir auf irgendeinem Portal mal deine E-Mail gegeben
    langweilig beim Vögeln? 
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    Re: Machen Sie ihre Frau glücklich
    
    
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  • Dänisches Diary

    Dänisches Diary

    Meine Tochter kotzt. Schon das vierte Mal diese Nacht. Früher haben die Eltern die Hotelzimmer vollgekotzt, allerdings aus ganz anderen Gründen. Das also ist Familienurlaub. Unser erster Richtiger. Meine Tochter hat ein Mitbringsel aus der Kita dabei. Wie jede zweite Woche seit einem halben Jahr. Darum meistern die Eltern nächtliches Kotzen schon ganz souverän, auch nächtliches Fieber oder fiebern oder kotzen gleich mit. In dieser Nacht sind wir standhaft. Waschen sogar die Handtücher mit Duschgel aus. Am Morgen werden wir ein Please tidy up-Schild an die Tür hängen. Manchmal braucht es erstmal Kochwäsche für einen Neustart.

    Odense, Dänemark. Auch nach 3h Schlaf eine hübsche Stadt. Alte und aktuelle Architektur verschmelzen zu etwas Stimmigen. Ein guter Ausgangspunkt für eine Reise. Nachdem alle Apotheken uns abgewiesen haben, da Medikamente für Kinder unter 2 Jahren verschreibungspflichtig sind, selbst bei einem Schnupfen, alle Arztpraxen geschlossen oder gerade an einen neuen Standort umgezogen, dazu der ärztliche Notdienst erst ab nachmittags aktiv, beschließen wir den Freitag wie geplant im neuen H. C. Andersen Hus zu verbringen, der Attraktion der Stadt. Das H.C. Andersen Hus, fertiggestellt 2021, ist ein architektonisch visionäres Museum aus viel Glas, Holz und Begrünungsfinesse, konstruiert von einem japanischen Stararchitekten.

    Es wächst aus Hans Christian Andersens Geburtshaus heraus und bildet eine Art Erlebnisraum für dessen Märchen für Menschen jeden Alters. 12 Installationskünstler:innen haben die Märchen zum Leben erweckt. Meine Tochter interessiert das nicht besonders, sie kennt schließlich noch keins davon, begeistert sich aber für ihre Mutter in einer augmented Reality Installation, die der auf einem Bildschirm in Spiegel-Look bei schrägen Bewegungen schräge kaiserliche Kleidung auf den Leib projiziert. Außerdem rennt Tochter gerne durch die weitläufigen Räume, bringt internationale Großeltern zum Lächeln und vergisst dabei die Nacht. Ihre Eltern finden das auf eine Weise gut. Herausforderung bleibt, irgendwie gleichzeitig mit dem Audioguide umzugehen, ohne den die interaktive Ausstellungkonzeption nicht funktioniert. Trotzdem nehmen wir viel mit, nicht nur ein Märchenbuch. Besonders ist die Erkenntnis wie die kleine Meerjungfrau, des Kaisers neue Kleider, die Prinzessin auf der Erbse, der tapfere Zinnsoldat, der Teetopf, das hässliche Entlein uns fast unbemerkt seit unserer Kindheit begleiten. Narrative, die es sich lohnt, neu und gründlich anzuschauen. Am Abend finde ich – wie kann es andersen sein (Mum Joke) – Medikamente für meine Tochter gegen Übelkeit & Erbrechen in der Reiseapotheke. Ich erinnere mich jetzt auch wieder, sie eingepackt zu haben. Der Urlaub hat begonnen.

    Wir sind in Djursland. Laut diverser Reisebroschüren „der wildeste Teil Dänemarks“. „Wild“ ist natürlich immer Definitionssache, in diesem Fall besonders, aber Djursland so oder so wunderschön. Wir wohnen im Naturschutzgebiet in einem kleinen Häuschen mit Reetdach und Meerblick. Ich gewöhne mich sofort daran. Die Küste ist so malerisch und hier (tatsächlich!) wild, dass ich das Fotografieren sofort aufgebe. Einmal essen wir einen dänischen Hotdog am Leuchtturm vor Ort, aber selbst das Profane der Remoulade bereichert die Gegend nur. Im Inland erstreckt sich eine Hügellandschaft mit vielen Aussichtshöhen, Hügelgräbern, Dolmen, Wildblumenwiesen, erntereifen Feldern, Miniaturortschaften und waldigen Mulden. Gesäumt von Sandstränden mit Heide oder Steinstränden mit weißen Felsen, Kiefern und blühenden Wildrosen (deren Duft man hier tatsächlich riecht). An den Sträßchen der Ortschaften stehen hier und da kleine Auslagen mit bepreisten Flohmarktartikeln und einer rostigen Geldkassette anbei oder es werden Erdbeeren und Kartoffeln vom Privatanbau angeboten. Der immer wieder einsetzende Regen macht leider manches unzugänglich. Dafür lerne ich, dass man unter einem Reetdach keinen Regen hört. (Dazu werde ich vielleicht eines Tages einen Haiku schreiben.) Den Hügelgräbern und Dolmen lassen wir trotzdem keine Ruhe, weil sie mir auch nicht. Die prähistorische Archäologin in mir ist zu enthusiastisch. Bei Wind und Wetter, ab und an auch bei strahlendem Sonnenschein, mit Kinderwagen, ohne, wieder mit, auf abrupt endenden Feldwegen, die Tochter abwechselnd tragend, mit Leckereien lockend, neben Wanderpfade pinkelnd, alle halbe Stunde vom hochgekrempelten Pullover gar T-Shirt zu Ölzeug und Kapuze wechselnd und zurück, auf Feldwegen lieber gar nicht erst mit dem Auto wendend, auf ein schlichtes Rückwärts oder Vorwärts setzend, Google Maps immer wieder vertrauen lernend – so nähern wir uns Bronze- und Jungsteinzeit.

    Nachmittags lässt sich danach kaum feststellen, ob die Nasenrötungen auf Sonnenbrand oder Frost und Schnupfen gründen – es ist auch egal, weil wir dann wieder im 21.Jahrhundert sind und es Kaffee gibt, heiße Milch und dänisches Gebäck, dazu Lakritz für die Großen. Am Abend fallen wir sauerstoffgekeulte Städter die steile Treppe in die obere Etage unters Reetdach hoch, klappen das schwere weiß lasierte Brett der Dachbodenluke zu und machen es uns vor dem Meer und hinter den Heckenrosen gemütlich.

    Zwei Mal verlassen wir das Naturschutzgebiet für Sightseeing. Es würde uns schwer fallen, würde es uns das Wetter nicht leichter machen. Einmal sehen wir so das angeblich kleinste Rathaus der Welt, wo Fotos von dort einst im Keller Eingesperrten die Problematik von Diversität über die Jahrhunderte insbesondere im Kleinstbürgerglichen sauerst aufstoßen lassen. Mit Glockenschlag Zwölfuhr verlassen wir dieses Rathaus. Ein seltsamer Moment, um auf einen Platz zu treten. Vor einer Kneipe in der Nähe parken Rollatoren, aus dem Innenraum dröhnt 80er-Jahre Popmusik. Es ist zehn nach Zwölf. Es zieht uns nicht ins Glasmuseum der Stadt, nicht in die zu einem Museum umgewandelte Fregatte im Hafen. Wir kaufen stattdessen noch ein paar Lebensmittel und kehren der Zivilisation wieder den Rücken, den zugebauten Hängen – wie schwarze, vollgesogene Zecken kleben die Holzhäuser hier an der Küste – den deutschen Touristen mit Frakturschriftshirts. Schnell wieder ins Idyll mit Aussicht, mit Abstand haltenden Teslas, hyggeligen Nackenkissen.

     

     

     

     

     

     

     

     

    Der zweite Ausflug führt uns nach Aarhus, das wir bereits ein wenig von der Anreise kennen. Seit Langem schon will ich das Kunstmuseum dort besuchen. Es übertrifft meine Erwartungen. Begeistert selbst meine Tochter auf jeder Etage. Das schafft nur ein Museum, das auf seiner Webseite schreibt: „Kunst betrachten nämlich ähnelt dem Stehen auf einem Trampolin“. Das ARoS zählt zu den „20 wichtigsten Kunstmuseen“ der Welt. Berechtigt. Hier zahlt man selbst die üblichen 6,50 Euro für einen Cappuccino lächelnd – bei allem anderen schauen wir schon längst nicht mehr auf die Preise, sowieso alles Kronen.

    Aarhus möchte uns so schnell eigentlich nicht mehr loslassen. Es ist sogar Art Weekend. Wir laufen sogar aus Versehen in die Kunstakademie rein. Eine Lehrerin dort führt uns sogar spontan durch eine Ausstellung. Sie kommt aus Japan. Die Liebe hat sie nach Dänemark geführt. (Das ist also diese Japan-Dänemark-Connection hier überall.) Und das verstehen wir sofort. Wir haben keine Lust zu gehen, aber das Auto wartet. Wie das so ist, im Leben. Die Eingabe des abfotografierten Nummernschild am Parkscheinautomaten schon Routine. Zivilisation ist nur was für Menschen mit Smartphone. Wir sind welche, so sehr ich dazu manchmal keinen Bock mehr habe. Ich starte den Automatik. Boardcomputer on. Bombardement überflüssiger Informationen. Noch einmal Luft holen, dann Drive-Modus. Es fährt uns. Noch ein bisschen durchatmen, in einer der letzten Wildnissen hier. Djursland, das Ostfriesland Dänemarks. Noch ein paar Tage dumm und auf Durchzug stellen, tun, als wisse man kaum, als ahne man wenig. Die Deutsche Bahn empfängt uns an der Grenze noch früh genug.

    Vikingeskib i horisonten

     

     

     

  • Texte für die Bühne – oder: The Magic of Feedback

    Texte für die Bühne – oder: The Magic of Feedback

    In den letzten Wochen durfte ich sehr besondere Veranstaltungen mit meinen Texten erleben. Ein wahrhaftes Glück war die Buchvorstellung von „Der Frau“ im traumhaft schönen Neuen Salon der Brotfabrik Berlin. Endlich wieder ein analoges Event mit direktem Austausch, ohne Filter, Finger und Aufmerksamkeitsdefizite. Dazu eine Lesung, bei der es im anschließenden Publikumsgespräch mit keinem Wort um Geschmäcker oder Berufungen ging. Sehr angetane Zuhörer:innen gaben mir wertvolles Feedback zur Bühnenwirksamkeit, zur Wucht, zur Brisanz, zur (Gattungs-)Freiheit meiner Texte bis hin zu deren dadaistischen Zügen. Das Publikum regte mich außerdem zu einem Hörbuch bzw. mehr Tonaufnahmen meiner Texte an, um sie auf meine Vortragsweise hören zu können, gab mir in dem Kontext auch sehr positive Rückmeldung zu den bereits produzierten Textproben für „Der Frau“ in Form von Kurzvideos, die im Vorfeld der Veröffentlichung entstanden. Es war ein so inspirierender Abend, dass ich im Anschluss ausnahmsweise geradezu dankbar über den langen Weg von Weißensee nach Kreuzberg war, um der Resonanz Denkraum zu geben.

    Noch erfüllt von den Projektideen und Textideen im Zuge dieser Buchvorstellung fuhr ich dann nach Freiburg, um mir die Aufführung von SACRE anzusehen, eine interdisziplinäre Tanz-Theaterproduktion des Aktionstheater PAN.OPTIKUM in Kooperation mit der Hochschule für Musik Freiburg: Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ (als „Part 2“) erweitert durch eine vorausgehende von Text geprägten Tanzperformance (als „Part 1“) und einem anschließenden Epilog – alles zum Thema: Opfer / Was sind wir heute bereit zu opfern? Wie lassen wir uns heute manipulieren, werden selbst zu Opfern? Wie wirken die Sozialen Netzwerke diesbezüglich auf uns? Den Textauftrag hatte ich bereits Ende 2019 erhalten, damals erste Textideen umgesetzt, die um das Thema Klimawandel kreisten. Die Produktion musste dann aber coronabedingt verschoben werden. Die Pandemie veränderte auch den thematischen Fokus vom Klima hin zum digitalen Space. Basierend auf Betrachtungen des Philosophen Byung-Chul Han schrieb ich Ende 2021/Anfang 2022 weitere Teile einer Textcollage (wie ich das gerne bezeichne), die von einem Ensemble internationaler Tänzer:innen unter der künstlerischen Leitung von Sigrun Fritsch und ihrer Tochter Luka Fritsch inszeniert bzw. choreographiert / szenisch gestaltet wurde. Eine merkwürdige und gleichzeitig auch vertraute Erfahrung, eigenen Text „verkörpert“ zu erleben – nicht nur gesprochen oder aus dem OFF, sondern auch als Motivation für Bewegung und gesungen! So gelungen alles, stimmig, ich war beeindruckt. Hinzu kam diese Begeisterung für meine Texte, die mir u.a. als „direkt und offen zugleich“ beschrieben wurden, als Texte die auf der Bühne einfach „funktionieren“. Dieses Feedback, dieser Konsens beider Events arbeitet immer noch in mir.

    Klar, ursprünglich komme ich aus der darstellenden Kunst. Und doch schreibe ich nicht absichtlich für die Bühne. Dem Spoken-Word war ich auch immer nahe, bin damit auch selbst aufgetreten – offenbar ist das einfach in mir, einfach meins, mein Tonfall, dieses assoziative Wortläuten, die Sprachrhythmen, die Sprachmelodien. Dieses bilddurchtränkte Schreiben, das sich organisch mit der Arbeit als Textkünstlerin mixt und ein ganz eigenes Schrift stellen, zerlegen, hegen, Sprache brechen und neu buchstabieren hervorbringt. Ein AHA-Moment mit runden 40 – tja, „der Weg kurvt immer ins / komm“.

    Danke für diese Augen öffnenden Live-Acts und Begegnungen! Das ermutigt mich, mir meine Sprache mehr und mehr zu erlauben. Zu den SACRE-TRAILERN, Aktionstheater Pan.Optikum. 

     

  • Der Frau – ein Text über das Frausein

    Der Frau – ein Text über das Frausein

    Während der Schwangerschaft mit meiner Tochter 2020 habe ich angefangen, kurze lyrische Sequenzen zur Mutterschaft zu notieren. Diese lyrischen Notizen – deren Form sich auch der raren Schreibzeit als (Neu-)Mutter verdankt – habe ich nach der Geburt beibehalten und bis heute fortgesetzt. Beim Schreiben hat sich eine grundsätzliche Dreistimmigkeit des Textes herausgebildet. Die drei Stimmen sind: Frau, Mutter und Eine. Die Frau spricht über Menstruation und erstes Mal, über das Frauwerden und Rollenbilder; die Mutter – klar – über Geburt und Mutterschaft, aber auch über das Tochtersein und Vergänglichkeit, über alte Geschlechter-Narrative und Pornographie; Eine spricht über Schwangerschaftsabbruch, Gewalt gegen Frauen und toxische Männlichkeit, über Frauenbewegung und Selbstermächtigung. Die Themen sind aber nicht streng verteilt, sondern mischen sich teils, was auf thematischen Überschneidungen oder einem Anknüpfen gründet, außerdem im Schreibprozess, diesem Stückwerk, wurzelt. So ist vielleicht vielmehr von einer „Textcollage“ zu sprechen als von einem eindeutig dreistimmigen Text. Zumal sich in die Dreistimmigkeit an zwei Stellen frech zwei weitere, ergänzende Stimmen einmischen: die einer Hebamme und die „einer anderen“. Viel wichtiger als die konkrete Einordung des Textes in irgendeine ohnehin öde Genre-Schublade ist und bleibt das Thema: Frausein – was ist das?

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    Auch der Titel „Der Frau“ stellt diese Frage. Er ist mehrdeutig lesbar. Zum einen als Widmung: Der Frau. Liest man ihn so, liest er sich als Dativ – der die Frau allerdings auch zum Objekt macht, in einem erweiterten Kontext nur so lesbar machen würde. Auch ein Genitiv ist denkbar – womit Besitzverhältnisse und Zugehörigkeiten anklingen würden. Zum Subjekt würde die Frau nur durch den korrekten direkten Artikel, der, lesen wir ihn hier einfach als korrekt, Fragen nach Geschlechtsidentität und Rollenbildern aufwirft. Alle Aspekte des Titels sind relevant.

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    Über einen Zeitraum von etwas mehr als eineinhalb Jahren ist „Der Frau“ gewachsen. Organisch. Hat darum die Gestalt eines Sprachgewächses. Je nachdem, wo die Erfahrung während dieser Zeit mehr Licht zuließ oder wollte, hat es intensiver Triebe entwickelt oder genügsamer. Herausgekommen ist etwas Vielverzweigtes. Für mich als Schreibende darum auch eine Art Bestandsaufnahme und ich hoffe auf Zeit, mich so manchem Thema erneut nähern zu können.

    Benannt habe ich „Der Frau“ schließlich schlicht als „Text“. Das ist auch auf die drei weiteren Texte (lyrische Prosa) zurückzuführen, die „Der Frau“ in der im März erscheinenden Publikation begleiten werden. Sie sind alle wesentlich kürzer als das titelgebende Herzstück und ergänzen das Thema. „Edelweißmän“ persifliert toxische Männlichkeit; „Wega“ erzählt vom Schreiben selbst; „Elektrische Impulse“ setzt sich mit Identität und Vergänglichkeit auseinander. „Der Frau“ könnte als Publikation auch für sich stehen. Aber ich mag es immer ganz gern, mit erweiternden Texträumen zu experimentieren, die auf ihre Weise Wechselwirkungen entfalten, Angesprochenes Aufgebrochenes weitererzählen. So wird ein Buch noch mehr zu einem eigenen kleinen Kosmos.

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  • Sonntags in Berlin

    Sonntags in Berlin

    Aus dem Tagebuch.

    Berlin, Oktober 2021: 

    Seit dem 22.August ist sie wieder geöffnet: Die Neue Nationalgalerie Berlin. 6 Jahre Instandsetzung. Der Bau von Ludwig Mies van der Rohe verdoktort von David Chipperfield. Die Neue – wie sie jetzt für sich wirbt – ein Museum, das den Blick öffnet, wieder, endlich. Glas und Stahl – immer noch eine geniale Kombi. Dieser Denkraum mitten im Stadtraum. Diese Insel der Kunst, des Geistigen, der Ideen, der Form, Linie, Farbe inmitten von Noise – und doch nicht abgeschnitten vom Leben, schon von Weitem Einsicht gewährend, verwandelnd, magisch. Kurz: Eins meiner absoluten Lieblingsmuseen. Zwei Wochen lang Vorfreude, Zeitfenstertickets on Display und dann: Überwältigt. Die Neue nun noch schöner als vorher. (Fast will ich „erhabener“ schreiben schreien jauchzen.) Und was es da nicht alles zu sehen gibt. Klar, während der Schließung waren etliche Werke der Sammlung auch immer wieder im Hamburger Bahnhof ausgestellt – aber. Sorry. Die Neue ist einfach anders. Alte Freund*innen treffen. Im alten neuen Rahmen. Wie gut, dass sie noch da sind: Die Bilder. Nach dieser ganzen Zeit. Trotz Pandemie. Deren Spuren beim Wiedersehen deutlicher spüren denn je. Durchatmen. Hinter der FFP2-Maske. Die Besucherzahlreichen in den Räumlichkeiten versuchsweise ausblendend. „Die Kunst der Gesellschaft“ wartet.

    Zu Beginn: Karl Hofer, dessen Trommler in „Die schwarzen Zimmer“ treffen – für mich ein Warner, wie es ihn zu allen Zeiten braucht. Sieht schließlich nich schick aus hier, wa. Grosz` „Stützen der Gesellschaft“ – die sich seit 1926 leider kaum verändert zu haben scheinen. Kriegsbilder von Dix, der auch alles andere kann als grotesk. Mich an die Ausstellung „Otto Dix. DER KRIEG“ 2014 im Dresdener Albertinum erinnern. Ein einziger Kriegsalbtraum. Fast unerträglich gut. Wie selbstverständlich damals das Reisen war, der Wochenendausflug an überfüllte Stätten. Ob es noch mal so unbeschwert wird, demnächst? Weitermachen, weiter sehen: Die Surrealisten: Ernst, Dali, Magritte – die wir vielleicht nie dringender gebraucht haben. Dazu: Die Bauhäusler und Abstrakten, darunter: Schlemmer, Baumeister, Kandinsky, Marc. Zum Glück sind sie noch da! Genau wie Max Beckmann. Dessen scharfkantige Expression, die von schwarzen Konturen gezeichnete Farbwucht. Ich stehe mit meiner Tochter vor den Großformaten „Geburt“ und „Tod“. Und mir reißt es fast den Boden unter den Füßen weg. Meine Tochter versteht noch nicht. Sie interessiert sich sowieso mehr für Skulptur. Für die Selbstporträts von Reneé Sintenis (mit ihrem scharfen Profil perfekte Nachbarin Beckmanns). Oder für die soziale Plastik in Gestalt der Besucher*innen ringsum. Meine Tochter mag Menschen. Das bekommen diese darum ständig zu spüren. Ein Lachen, Winken, Kontaktaufnehmen ist das. Das ich heute dauernd unterbinden muss. Weil: Benimm Benimm. Der die das Bildungsbürgergetüm möchte ungestört Kunsterklärtafeln lesen. Verstehen wir auch. Nimmt aber auch viel. Leider auch vorweg. Im Raum der Zeitschrift und Galerie „Der Sturm“ beginnt meine Tochter dann richtig zu quengeln. Sie will selbst laufen. Aber überall Beine. Darum bitte an der Hand. Genervte Blicke. Bis auf Herwarth Walden: Der verzieht keine Miene.

    Keine Klassische Moderne ohne „Entartete Kunst“. Das macht das Wiedersehen komplett. Meine Zeit an der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin. Auf einmal wieder präsent und nah. Das Büro, die Datenbank, die Veranstaltungsbetreuung, die Bibliotheken, die Archive. Vor allem die Archive. Bundesarchiv, Landesarchiv, Zentralarchiv, meistens aber: das Archiv der Akademie der Künste. Bachelorarbeit, Masterarbeit, Hausarbeiten. Findbücher, Akten, Fotos, Mikrofilme, Mikrofiche, Nachlässe. Künstler*innen, Ausstellungen, Kunsthandel der 1930er und 40er-Jahre. Schreckliche Geschichten. Entdeckungen. Die dem Vergessen entrissen werden müssen. Opportunisten, Verräter, Verbrecher, Bespitzelte, Enteignete, Verfolgte, Mörder, Ermordete. Aber auch Nachfahr*innen, wenn man nicht aufgibt. Die fast zufällig auftauchen, als Randnotiz, im Bildhintergrund, irgendwo auf der Welt. Spuren in der Dämmerung. Dazu Leuchtfeuer der Bilder. Auf Leinwand, auf Papier. Die doch nicht verbrannt sind, zerstört wurden. Provenienzen sprechen. Verlorengeglaubte Erzählungen. Tuschelnde Akten. Die Vergangenheit steckt voller Neuigkeiten. Das manchmal kaum fassen können. Fakten versus Propaganda. Wie Gegengift. Das mit der Zeit wirkt. Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Das Museum des 20. Jahrhunderts bald ergänzend next door zur Neuen. Eine einzigartige Sammlung von Freigeistigem, nicht klein zu kriegen. Veränderung findet immer eine Mündung. Das Mysterium Zeit bestaunen. Das Jahrhundertwenden. Umbrüche, Brüche – mit meiner Tochter Edward Munchs „Lebensfries“ (Reinhardt-Fries) entlang gehen. Allzumenschliches in flächigen, sehnsuchtsvollen Pastellfarben. Hin zu Georg Kolbes „Tänzerin“. Die mit ausgebreiteten Armen in diesem Moment alles vergisst und alles findet. Erinnerung an ein Seminar im Untergeschoss des Georg Kolbe Museums. Wintersemester. Alles in Mantel. Kultur muss sparen, wo sie kann. (Bitte anders!) Ich erkläre meiner Tochter: „Tänzerin“. Sie versteht, breitet die Arme aus. Funktioniert, mit der Nachahmung. Am Ausgang gegenüber: Paula Modersohn-Beckers leuchtend rosarot-fleischfarbener Akt „Kniende Mutter mit Kind an der Brust“. Meine Tochter zeigt und erklärt mir: „Mama“.

    Im glasumspannten Erdgeschoss schauen wir danach Alexander Calder „Minimal / Maximal“ – Mobiles und Stabiles von Streichholzschatelgröße bis monumentaler Stahlkonstruktion. Massivität und Leichtigkeit, Form und Spiel, Bewegung und Balance. Vor allem Balance – zumindest für mich heute. Die innere Welt wieder nach außen tragen. Den Denkraum in den Stadtraum. Live. Allmählich beginnt es wieder. Trotz Care-Arbeit und Corona.

    Durch den Gleisdreieck Park nach Hause schlendern. Einen Kaffee auf die Hand. Sonne. Goldener Herbst. Die Neue wirkt. Werkelt am wir mir. Streicht durch den Kopf. Mit viel Farbe.

     

     

     

  • Unterwegs in Deutschland

    Unterwegs in Deutschland

    Aus dem Reisetagebuch. 

    Deutschland, NRW, Oktober 2021: 

    Unterwegs zum Geburtstagsevent im Familienkreis. Es jährt sich. Ein Herbst des Lebens, wenn man großzügig ist. In Berlin am überfüllten Gleis die Nachricht: Der Zug fällt aus. Es kommt jedoch Ersatz. Allerdings nur der halbe Zug. Und die Wagons in umgekehrter Reihenfolge. Aber das macht nichts, weil die Reservierungen aufgehoben sind. – Trotzdem steigen wir ein: mein Mann, meine Tochter und ich. Da das Kleinkindabteil bereits ab Erststation Ostbahnhof überfüllt ist, rät uns das Zugpersonal zur Suche eines gewöhnlichen Abteils. Die Suche ist erfolgreich. Eine nette junge Frau teilt ein Abteil mit uns. Es gibt dort niedrige Tische zwischen den Sitzen mit runden Vertiefungen für Getränke. Unsere Tochter nutzt sie als Spieltische. Für die Steckdosen unter den Tischen interessiert sie sich glücklicherweise nur zeitweise. Alle überleben die Fahrt. Auch dank vorhandenem Bistrowagon. Obwohl dort der Kühlschrank etwas zu kühl ist: Alle Getränke sind tiefgefroren. Beim Kaffee verhält sich das immerhin anders. Wenn man den Kaffee dort als Kaffee bezeichnen möchte. Er enthält jedenfalls Koffein und das ist die Hauptsache. Auf einen Umstieg in die Regionalbahn dürfen wir verzichten. An einem größeren Unterwegsbahnhof werden wir abgeholt. Das spart nicht nur Zeit. Die Regionalbahn fährt momentan sowieso nur bedingt. Die Strecke ist ob flutenden Klimas verstört. Ein Ziehharmonikabus namens Schienenersatzverkehr kurvt dort. Statt Hügelslalom Autobahnauffahrt. LKWs und Raser sieht man heute nicht. NEBEL. Sicht unter 50 Metern. Als wir das Ziel erreichen, ist der Geburtstag schon fortgeschritten, aber noch nicht vorbei. Man muss immer das Positive sehen. Scheiß auf die Witterungsbedingungen. Das fällt uns leichter, da andere Gäste unser Schicksal teilen. Nach deren erster Stunde Bahnfahrt: Oberleitung ohne Strom. Einstündige Verspätung mit Entschädigungsoption knapp verpasst. Genau wie alle Anschlüsse. Dafür: Sightseeing-Spaziergang am Rhein. – Die Wege der Bahn sind unergründlich. Hoch die Trassen! Nein. Auf die Jubilarin: meine Mutter! Die sich aufgrund ihrer Krankheit sowieso an nichts erinnern wird. Wahrscheinlich. Wie letztlich die Geschichte.

    Der Tag danach. Spaziergang. Verdauungsspaziergang. Mal wieder. Auf Familienbesuch sind alle Spaziergänge Verdauungsspaziergänge. Matschige Wege. Kahle Hügelketten. Kühe, Schafe, Pferde hinter Strom. Sattelschlepper mit polnischen Kennzeichen, die gefällte Fichten transportieren.

    Später: Fischen im Bücherregal. Ich finde „Beethoven im Gespräch“. Darin: „Beethoven als Kind“. Nach den Aufzeichnungen Gottfried Fischers, des Besitzers von Beethovens Geburtshaus in Bonn, in dem er seine Kindheit verbrachte. Davon gibt es offenbar nicht viel zu berichten. Bis auf das zu wilde Klavierspiel (was sonst) – durfte er nicht, musste die Violine nehmen. Dazu die Tochter des Vermieters, die Klein-Beethoven ermahnt: „Wie siehst du wieder so schmutzig aus, du solltest dich etwas proprer halten.“ Ich lege das Buch beiseite und beschließe, die Räder des Buggys doch nicht mehr zu reinigen. Stattdessen setze ich mich mit meiner Tochter ans Klavier. Sie drückt der Reihe nach alle schwarzen Tasten. Die weißen mag sie nicht.

    Draußen gammelt im Nieselregen der Wein. Am Nachmittag kommt unerwartet die Sonne raus. Plötzlich fast Spätsommer. Wäre da nicht das Laub. Ich streife durch den Garten meiner Eltern. Den Großteil des Jahres ein Ort ohne Klimazonen. Erkenne die Bäumchen von früher kaum. Pflücke mir ein paar Trauben, die es geschafft haben. Sie schmecken nach Italien. Um genau zu sein: nach einer Künstlervilla am Lago Maggiore, wo ich als Kind mal die Herbstferien verbracht habe. Trauben und Maroni. Ein verwildertes Grundstück. Katzen, die ich füttern durfte. – Ein fetter schwarzer Kater streicht ums Haus. Ungestiefelt. Altersschwach. Ich spucke die Kerne der Trauben auf den Rasen.

    Im Haus: Buchrücken, Terrakotta, Bilder in staubigen Rahmen. Man schafft das alles irgendwann nicht mehr, sagt jemand.

    Meine Tochter beißt in einen blau-grauen Plastikdinosaurier, den ich hier irgendwann zurückgelassen habe. Ich ziehe ihr den Draußen-Overall über, nehme sie mit an die Luft. Sie rennt ausgebesserte Teersträßchen entlang, Feldwege. Ein Kälbchen kommt an den Zaun. Wir müssen auf Abstand bleiben, Elektro. Schmerzhafte Erinnerungen. Über den Weiden Überlandleitungen, riesige Stahlbäume. In der Ferne ein einsames Windrad.

    In den Wald gehen wir heute nicht. Nicht nur wegen der schlammigen Furchen, der pflügenden Lastwagen. Sondern weil der Wald weg ist. Überall Wunden in der Landschaft. Die Trockenheit, der Borkenkäfer. Nie der Mensch, natürlich. Der Wald, den ich mal kannte, wird jetzt in China zu Einbauschränken verarbeitet, zu Tischen und Stühlen. Ich beschließe, in Zukunft noch gewissenhafter auf nachhaltige Zertifizierungslabels zu achten.

    Am Abend werde ich zum Ziehen einer Karte eines Künstler*innenorakels aufgefordert. Na gut. Ich ziehe Marcel Duchamp: „Scandal before Stardom“. Mist, kein Pissoir im Haus. Danach ziehe ich ein Buch aus dem Bücherregal: „Dichten und Trachten – Jahresschau des Suhrkamp-Verlags“ von 1954. Ein A6 kleines Verlagsprogramm. Relikt aus der Bibliothek meiner Großeltern. Den Anfang macht Max Frisch mit „Stiller“. Es gibt eine Leseprobe, der Auszug titelt: „Allerseelenfest“. Er beschreibt den Totensonntag auf mexikanischen Friedhöfen. Draußen streicht Bruder Oktober ums Haus. Ich lese: „Es gibt, angesichts der Tatsache von Leben und Tod, gar nichts zu sagen.“ Und weiß nicht, ob ich dem zustimmen kann.

     

     

  • Besuch bei Oma, Orpheus und den Musen (Teil II)

    Besuch bei Oma, Orpheus und den Musen (Teil II)

    Aus dem Reisetagebuch.

    Griechenland, Pieria, September 2021: 

    Mein Mann presst Granatäpfel. Den Saft friert man hier ein und trinkt ihn später mit Tsipouro gemixt. Ich trinke ihn lieber pur. Meine Süße ist mit Oma – Schwiegeroma – im Turmzimmer. Ein Raum mit Fenstern ringsum und kleinem Balkon zu dem eine geweißelte Betontreppe hinaufführt. Oma nutzt ihn als Atelier, dort klebt sie Landschaften aus Strandgut auf Leinwand. Am Nachmittag schlängeln wir uns Serpentinen des Olymps hinauf. Im Café am Hang liegen Kastanien auf dem Weg. Der Garten des Cafés ist verwildert. Ganz anders, als ich ihn in Erinnerung habe. Fast wirkt es, als seien wir in eine andere Zeit geraten. Das Café nur für uns geöffnet. Niemand ist dort. Hinter der überdachten Holztheke des Cafés, mehr provisorische Taverne, erscheint für einen Moment der Wirt – dann sein Sohn, der uns Bergwasser im Tonkrug bringt. Wir sitzen und schauen. Ausblicke. Altmodische schmiedeeiserne Gartenmöbel, die Rost angesetzt haben. Im Zentrum der Tische eine ovale Wasserstelle mit Natursteinmäuerchen. Dort nisten Bienen. Am Eingang ein bemaltes Holztor. Es zeigt ein Paar in antiker Kleidung (Zeus und Hera?). Die Farbe blättert. Aber die Gesichter sind noch gut zu erkennen.

    Am Strand liegen, wieder. Neue Bucht. Mit Blick auf die Festung am Meer. Franken, Osmanen, Venezianer, Neuseeländer haben hier residiert. Schon in der Bronzezeit war der Ort besiedelt. Der Burgberg ist umgeben von alten Ganggräbern, die teils der Eisenbahnlinie weichen mussten. Man weiß nie, was kommt. Die Ferienwohnungen am Strand sind verrammelt. Geisterstadt. Aus einer letzten geöffneten Bar tönt Musik. Amerikanische Schlager. Eheversilberte, einsame Geliftete bräunen auf Strandliegen. Ab und an fliegt ein Militärhubschrauber vorbei. Plötzlich ein ganzes Geschwader. Apokalypse Now. Ich gehe ins Wasser. Das Wasser ist klar und weich. Eigentlich wollte ich dreist ins Wasser pinkeln. Aber so. Dazu die dicke Frau im Badeanzug auf der vordersten Strandliege, die mich nicht aus den Augen lässt. Erst als ich tropfend an ihr vorbeigehe, realisiere ich die Leere ihres Blicks. Das Bar-WC tut es auch. Es gibt eine Tür für Männer, eine für Frauen, direkt nebeneinander. Keine der Türen kann man abschließen.

    Abends auf der Terrasse des Fischlokals. Sie reicht bis auf den Strand hinaus. Streunende Katzen betteln. Meine Tochter füttert sie mit Begeisterung. Ich zerlege in Rekordzeit eine Dorade, um mit ihr zu spielen.

    Am Morgen scheint die aufgehende Sonne direkt auf mein Kopfkissen. Den Steinstrand des Orts entlangwandern. Spannender als die Sandstrände ringsum. Wie das im Leben so ist. Muscheln, Hölzer, Seeigel, Steine wie geschliffene Mikro-Planeten, geschliffene Glasscherben, Kacheln, Schneckenhäuser, erstes Laub und Müll, Geschichten, Gedanken, Ideen, Unerwartetes und Kraft. Später im Kloster am Rande des Nationalparks Tee kaufen. Die Kräuter sind frisch getrocknet und auf die braunen Papiertüten bunte Zettel mit Anwendungsinformationen getackert. Ich kann sie nicht lesen, aber das macht nichts. Die Kräuter sprechen für sich. Nicht weit entfernt die Wasserfälle. Um diese Jahreszeit berauschend besucherfrei. Jeder Stein im Strom eine Persönlichkeit. Die bewaldeten Felsen. Präsenz des Präsens. Ein Rotkehlchen nähert sich. Vogelfüße auf weißem Gebirgsschotter.

    Am Meer stehen. Am Meer stehen. Am Meer stehen. Ein Leben lang. Und es ist doch nie genug.

     

  • Schreiben mit Kind – Ein Erfahrungsbericht TEIL II

    Schreiben mit Kind – Ein Erfahrungsbericht TEIL II

    Desillusioniert. Nicht komplett, aber mehr als ein wenig. Nach über einem Jahr des Schreibens mit Kind bzw. der Schreibversuche, der immer erneuten Anläufe muss ich das eingestehen. Ein bisschen Text geht hier und da noch, insgesamt hat sich nach fast 13 Monaten aber vor allem vieles angestaut. Manchmal könnte ich heulen, verzweifeln, weil es manchmal kaum zu ertragen ist. Alle Impulse schlucken, reagieren, funktionieren, sich selbst radikal zurücknehmen. Aber: So ist das, klar. Care-Arbeit fordert. 12 – 16 Stunden 7 Tage die Woche. Plus Selbständigkeit. Die eigentlich den gleichen Arbeitsaufwand erfordern täte. Macht irgendwann vollendete Überlastung, auch klar. Zu Beginn startet es sich ja immer hoffnungsfroh. Heute staune ich über meine Ausdauer in den ersten Monaten. Aber die Widerstände. Die ständige Konfrontation damit. Irgendwann kippt das. Natürlich muss man wachsen, daran, über sich hinaus, dauernd am besten, immer wieder aufstehen, auch wenn man kaum geschlafen hat und den Stein rollen. Aber dann ist man irgendwann so übermüdet und überarbeitet, dass jegliche Lust dazu vergangen ist. Weil es gibt keine Pause, nie und mitten in diesem ewigen Weiter muss ich nun eine Situation schaffen, in der ich wieder ich sagen kann. Weil ich will wieder ich sagen können und dürfen und dabei trotzdem Mutter sein, ich bin gerne Mutter, aber auch gerne ich. Es braucht Ausgleich.

    Care-Arbeit ist und bleibt Frauensache, solange frau nicht mehr als der Partner* verdient und darum dringend zurück in die Vollzeit muss. Eine Sache, die ich ebenfalls gelernt habe. Nichts gegen meinen Mann. Aber seltsam sich plötzlich in so einer Rolle/sich in solchen Rollen vorzufinden. Für manche bleiben die auch ohne Gehältererwägungen selbstverständlich. Weil die Frau sich ums Kind kümmert und der Mann sich um die Frau. Einer der vielen Sprüche, die ich in den letzten Monaten zu hören bekam. Über mich ergehen lassen musste. Tja, die Lebenserhaltungskosten kosten. Da kommt man auch mit dem Höchstsatz des Elterngeldes nicht weit. Zumindest in Berlin-Kreuzberg. Wäre auch alles halb so wild, weil temporär, wenn nicht ständig irgendwelche Menschen den Muttifinger zeigen würden. Weil sie in der Mutti den Archetyp des Fußabtreters erblicken. Oder sowas ähnliches. Besonders junge Frauen haben teils große Angst vor diesem Archetyp. Eingeredet bekommen. Der natürlich nicht existiert. Schwachsinnskategoriegefasel. Jede Frau ist eine andere Mutter wie sie ein anderer Mensch ist als ein anderer. Aber das ist natürlich unglaubwürdig und zu kompliziert. Vereinfachen, bitte, alles. Damit die Welt übersichtlich bleibt und die eigene Omnipotenz in der Hosentasche.

     

    Und sonst? Frauen bleiben weniger wert als Männer. Egal wer wie in welcher Rolle unterwegs ist. Das bekomme ich als Mutti zu spüren. (Mutti = ein Sammelbegriff Stammelbegriff, der im Grunde bloß alles Weibliche bezeichnen sollte, das mindestens einen neuen Menschen gebaut und zur Welt gebracht hat.) Als Mutti ist Frau raus. Aus dem Gesellschaftsspiel. Bitte am Rand warten oder am Ausgang. Weil als Mutti soll Frau gefälligst Mutti sein. Sich ums Kind kümmern. Nicht mehr um sich. Höchstens so ein bisschen. Mal baden. 15 Minuten die Beine hoch mit Buchaufschlag. Wie in irgendeiner Soap. Muttis sind Frauen letzter Kaste. Als Frau ist man ja sowieso schon weniger kompetent, weniger intelligent, weniger allgemein. Als Mutti ist Frau dann immerhin etwas und soll bitteschön stolz drauf sein, sich zufrieden geben, nun überhaupt ein gesellschaftsfähiges Existenzrecht zu besitzen. Dazu gehört natürlich sich gesund zu ernähren, auf die Figur zu achten und sich um alles Verkümmernde der anderen auch. Mutti ist eine Art des optimierten Care-Roboters. Den Glauben an eine zunehmend frauenfreundliche Gesellschaft habe ich in den letzten Monaten verloren. Kein Wunder, dass wir das mit der Achtung vor der Natur auch nicht hinbekommen. Natur und Frau und Mutter, das ist ja meist immer noch ein zusammengepantschtes mystifiziertes Gebilde und in der Pyramidenhierarchie des Herrn der Bodensatz. Darum bleibt logischerweise auch das Klima scheiße bis Mütter mal in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. An diesem Mutter/Natur Synonym ist leider auch  etwas dran, das muss ich auch eingestehen, weil Frau als Mutter am eigenen Körper erfährt, wie Leben entsteht. Das fehlt Männern und allen dazwischen und außerhalb. Eine körperliche Erfahrung lässt sich schwer verbal vermitteln. Eine Geburt erklären ist wie einen Orgasmus erklären. Mütter können mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung für das Leben sensibilisieren. Wobei. Hier stoßen wir ja wieder an die Problematik traumatischer Geburt, weil gebärende Frauen (selbst von Hebammen) entmündigt, entmächtigt und zu einer Art Gefäße degradiert werden. Überall aufgeheiztes Klima, nicht ohne Grund. Es lebe die Debattenkultur! Der Feminismus sowieso. Jede Generation von Feministinnen meint ja in jungen Jahren gerne, frauenrechtlerisch irgendwelche Durchbrüche geschafft zu haben. Dann stellt sich mit der Erfahrungen heraus, es war Großteils Wunschdenken, zu früh gefreut. Der alte Organismus tickt wie eh und je.

    What else nach 13 Monaten? Ach ja. Geboren zu sein, begreifen viele als Selbstverständlichkeit, habe ich gelernt. Oft auch Menschen, die auf keinen Fall Kinder haben mögen. Kein Wunder, dass so Achtung, Toleranz. Altruismus leiden. Der Hedonismus walzt platt, everywhere. Das kann doch nicht immer so weiter Eiter. Und: Warum sind wir Frauen in diesem frauenfeindlichen, egoistischen System oft so unsolidarisch? Die Lücken ausnutzend, die andere Frauen (hinter-)lassen, während Männer wesentlich kollegialer Karriere machen, sich nach Jahrtausenden der Hierarchiepraktiken nicht mehr so die Ellbogen verrenken wie wir. Mann, Frauen! Wahrscheinlich insgesamt eine Frage der Selbstachtung.

    Als Mutti ist die Karriere vorbei. Lernt Frau als Mutti. Oder soll sie lernen. Da tut jede*r gerne, als sei das anders, aber… Ein Kind, nun gut, das lässt sich eventuell noch wuppen, aber mehr? Geht nicht. Ist doch auch Quatsch. Als Mutti soll Frau schließlich Mutti sein. Selbst schuld. Halt verhüten. Berufstätige Mutti klingt immer noch wie Hexe oder wenigstens wie Halbtagskompromisses. Gibt darum auch kaum Förderungen, Stipendien, Jobeinstiegserleichterung, Preise, berufliche Reisemöglichkeiten für Muttis. Weil Mutti ist Frau ja nebenbei, Nebenjob, unbezahlt. Mit links meistert Mutti ihr Berufsleben. Taff. Immer 120 prozentig, die Frisur, alles top, perfekt zurückgebildet.

    Endlich wieder ansehnliches Accessoire. Die Rücksicht der Männer, äh Väter. Väter, die unterschätzte Spezies. Süß irgendwie. Jeder Mann mit Babytrage verdient automatisch eine berufliche Beförderung. Schaut euch den doch an. Kann alles. – Thema für sich. Genauso wie Großelterngeneration und Nachwuchs. Spricht manche Oma bei der Begegnung mit einem Laut gebenden Baby in Einkaufsmarkt und auf offener Straße gerne ein PSCHT PSSSST oder WAS HAT ES DENN WAS HAST DU DENN KLEINES über den Kopf der Mutter hinweg, auch wenn es sich im um die erste Begegnung dieser Art handelt, spricht Opa Sätze wie Bloß nicht lachen oder Mach Randale, genau, richtig. (Oder dies nur die Spezies der Kreuzberger Opas?) Fragen über Fragen. Um Antworten wird hier so mancher Text ringen.

    Jaja, die Mutti. Die Frau Mutti. Dazu das Kind in mir. Das gibt`s auch auch noch. Die Mutter. Sie schafft. Sie schultert den Atlas. Der gern tut, als trage er. Nicht weniger als die Welt, selbstverständlich. Nicht bloß diesen Berg von Windeln und Einkaufstaschen. Da gibt`s Wichtigeres.

     

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  • Schreiben mit Kind – ein Erfahrungsbericht

    Schreiben mit Kind – ein Erfahrungsbericht

    Schreiben mit Kind – wie ist das eigentlich? Das habe ich mich früher gelegentlich gefragt. Als bei mir dann die Lust aufkam, das Mutter-Sein zu probieren, tauchten natürlich etliche Erfahrungsberichte im Netz auf. Wie das so ist: Erwacht das Interesse, schwupps, sieht man nichts anderes mehr. Besonders die vielfach in Beiträgen geschilderte Erfahrung, mit Kind nicht mehr beim Schreiben herumzutrödeln/im Internet zu surfen etc., sondern viel konzentrierter zu arbeiten, jedes Zeitfenster nutzend, kann ich bestätigen. Klar, das klappt nicht immer, weil ich manchmal auch zu müde bin und mir lieber eine heiße Schokolade mache – aber meistens schon. So auf den Punkt hin habe ich zuletzt während meines Studiums geschrieben, als ich mir meine Schreibzeit auch mühsamst zusammenklauben musste. Diese Konzentration erfordert ein hohes Maß an Disziplin, ja, aber das fällt mir nicht schwer, da ich generell sehr diszipliniert arbeite. Dabei tut mir Druck – solange der nicht überhand nimmt – sogar gut. So kommt es, dass ich, obwohl mir momentan (meine Tochter ist mittlerweile ein halbes Jahr alt) wesentlich weniger Zeit zum Schreiben insgesamt zur Verfügung steht, nicht weniger produktiv bin. Klar, in den ersten zwei/drei Monaten war das mit dem Schreiben noch schwieriger – wobei ich auch in dieser Zeit des Aneinander-Gewöhnens immer wieder Zeit für Notizen fand. Und zwar nicht krampfhaft, sondern spontan inspiriert. So viel habe ich lange nicht mehr handschriftlich festgehalten. Das hat gut getan und ich habe Notizbücher wieder für mich entdeckt. Eine willkommene Abwechslung zu meinem unbändigen Zettelsystem: meist kleben, liegen, stecken sie überall: Zettel an Wänden, auf Tischen, Bildschirmrändern, Bildschirmen auch, Tastaturen, Regalen, in Jackentaschen, Hosenaschen, Büchern, sogar in Schuhen!

    Trotz Schlafmangels (immer noch hin und wieder) und sogenannter Still- Schwangerschaftsdemenz (oh du Biologie du) ist der Kopf überwiegend frei. Um ehrlich sein, finde ich es sogar ganz anregend plötzlich zu den unterschiedlichsten Tag- und Nachtzeiten zu arbeiten. Auch wenn ich nichts dagegen habe, dass mittlerweile die 4-Uhr-Schicht wieder passé ist… Die Spontanität, die ein Kind mit sich bringt, das Unvorhersehbare, gefällt mir – ist es doch das, was mich am kreativen Prozess von jeher begeistert. Mit einem Kind, dass ist wie auf Reisen sein. Ich bin kein Pauschalurlaubstyp, im Gegenteil. Ich will unterwegs sein, mich treiben lassen, nicht wissen, wo ich lande, dem Zufall Richtung und Stationen anvertrauen. Im Alltag fehlt mir das manchmal, das Freie – obwohl der Zufall auch dort am Werk ist, klar, doch leider oftmals durch Routinen abgewürgt oder unterbunden. Nicht planen zu können, herrlich! Frohlocke ich also momentan. Natürlich könnte oder kann ich mir mit Kind auch Dinge vornehmen und tue das auch – sich treiben lassen heißt ja nicht unbedingt, keine Ziele zu haben – allerdings gestaltet sich die Umsetzung garantiert anders als erwartet. So ist es, lebendig zu sein, very fein. Ich muss dazu sagen: Meine Tochter ist ein sehr entspanntes Kind. Ein Sonnenschein, nur bei Wachstumsschüben launisch. Das ist natürlich auch „die halbe Miete“ – wie mir neulich ein Nachbar und mehrfacher Vater zu verstehen gab. Meine Tochter ist dazu zwar Speikind, allerdings fällt mir das Schreiben auch vollgekotzt leicht und: Uff, doch, ja, zugegeben, zum Glück verebbt das Speien trotzdem allmählich. In dieser Hinsicht ist die Pandemie übrigens eindeutig Segen: Zu Hause kotzt es sich doch schöner.

    Seit der Schwangerschaft sind natürlich auch neue Themen beim Schreiben präsent. Zum Beispiel die Schwangerschaft selbst, genau. Dann logischerweise die Themen Geburt und Mutterschaft. Außerdem habe ich intensiv wie lange nicht über Abtreibung nachgedacht. Weil ich mich mit Mitte 20 selbst für einen Schwangerschaftsabbruch, wie es ja korrekter heißt, entschieden habe – und über diese Entscheidung bis heute sehr glücklich bin. Ja, das sollte eine Frau sagen dürfen. Genau wie sie sich über etliche andere Konditionierungen und Rollenbilder hinwegsetzen sollte – man muss sich das ja meist erstmal selbst erlauben. Jedenfalls: Diesem ganzen gigantischen Themenkomplex, der ja in der weiblichen Sexualität an sich wurzelt, ist ein Text entwachsen. Eine Textcollage, um genau zu sein, die das Herzstück meines neuen Textbands (der Ende des Jahres erscheinen soll) bilden soll. Ja, damit reihe ich mich wohl ein, in die momentan schier endlose Publikationsliste von Regretting Motherhood über female Lust bis hin zu erzkonservativen Mutterschaftspamphleten. Keine Sorge, mit Letzteren hat mein Text nichts gemein – allerdings auch nichts mit Erstgenanntem. Ich bin da nicht extrem. Auch kein in Schubladen denkender Mensch. Obwohl ich auch krasse Positionen nachvollziehen kann (was nicht bedeutet, dass ich sie gutheiße). Schließlich bin ich Schriftstellerin, Synonym für Menschenversteherin. Jedenfalls: Durch die schmalen täglichen Zeitfenster des Schreibens, wo es gilt sich möglichst augenblicklich in die Meditation zu versenken, wird auch die Sprache dichter. Habe ich den Eindruck. You and we will see. Andere Texte zum Thema Werden und Vergänglichkeit sollen das neue Buch komplettieren. Auch hier kann bzw. könnte ich von Verdichtung und neuen Impulsen berichten.

    Noch vor zehn Jahren hatte ich meine Zweifel, ob Kind und Karriere sich je würden vereinbaren lassen. Lange Zeit konnte ich mir darum ein Leben mit Kind(ern) nicht vorstellen – allerdings habe ich auch erst mit Anfang 30 zum ersten Mal überhaupt einen Kinderwunsch verspürt. Jede Frau tickt anders, so ist das. Nun stelle ich fest: Kind und Karriere lassen sich garantiert nicht so vereinbaren, wie Frau sich das vorstellt oder gar plant. Aber was wäre wäre wäre, wenn jemals etwas nach Plan liefe. Dass Kind und Karriere sich ausschließen – dieses verdammte Paradigma sollte endlich begraben werden. Wenn der/die Partner*in supportet und der Staat für Betreuung sorgt (beides sollte selbstverständlich sein), dann – ist vieles machbar. Frauen müssen dafür nicht wie Männer werden. (Was soll das überhaupt heißen? Stereotype sind doch sowieso längst mumifizierter Museumsstaub.) Vielleicht ist das immer noch der zentrale Punkt: Frauen können nun mal Kinder kriegen. Und wenn sie Lust darauf haben, sollen sie das tun und benachteiligungsfrei tun können. Wenn Männer Kinder kriegen könnten – so meine Hebamme – würden sie permanent mit ihrem Uterus prahlen. Vielleicht hilft so eine Vorstellung auf dem langen Weg des Change. Einen Uterus zu haben ist keine Schwäche. Es macht uns Frauen nicht zerbrechlich oder angreifbar. Das ist eine alte scheiß cis HiStory, weiter nix. Weg damit. Aus dem Weg. Unsere Körper sind Wunder. Wer je eine Geburt erlebt hat, weiß: Frauen können alles, wenn sie wollen. Darum können wir es auch schaffen, einfach wir selbst zu sein. Frau zu sein. (Egal, mit welcher sexuellen Orientierung.) Und unseren Körpern die Achtung schenken, die sie verdienen. Vor allem: diese Achtung einfordern. Unsere Fruchtbarkeit als Stärke begreifen, als Potential, unsere Orgasmen feiern. Ist doch gar nicht so schwer. Oh yes.

    Schreiben mit Kind, das öffnet den Muttermund (Mum Joke). Mein Schreiben hat sich dadurch verändert. Ich habe das Gefühl, endlich ganz und gar so schreiben zu können, wie ich schreiben will und insbesondere endlich auch als Frau schreiben zu können. Ja, tatsächlich. In meinen Texten habe ich bisher oft aus männlicher Perspektive erzählt. Sicherlich auch, weil ich mich noch nie eindeutig als Frau gefühlt habe und wenn ich mich jetzt geschlechtlich korrekt einordnen müsste wohl als „genderfluid“ bezeichnen würde. Aber eigentlich ist dieses Einordnen nicht mein Ding. Im künstlerischen Bereich begegnet man wenigen Personen, die ihr Geschlecht klar definieren, so meine Erfahrung. Das Androgyne und Diverse sind da sowieso Normalität. So empfinde ich aktuelle Debatten dazu manchmal übrigens als recht verknöchert und auch erstaunlich konservativ. Aber: Klammer zu und: Die weibliche Perspektive zieht nun also auch unzensiert in meine Texte ein. Hach, das tut gut. Und ich glaube, da wartet eine Menge Stoff auf mich…

    Als Frau geboren zu sein, bedeutet heute leider oft immer noch: nicht als vollwertiger Mensch wahrgenommen zu werden (und sei das „nur“ die Selbstwahrnehmung). Sicherlich ein Grund, warum es mir bisher oft leichter gefallen ist, als Mann zu schreiben. Weil mir so keine Beschränkungen auferlegt waren, von meinen eigenen Konditionierungen. Männer (in so einer Welt bin ich noch groß geworden) wurde automatisch stets Kompetenz zugesprochen, egal auf welchem Gebiet. Selbst wenn sie ganz offensichtlich keine Ahnung von nichts hatten. Auf meinem beruflichen Weg bin ich als Frau darum des Öfteren abgestempelt und benachteiligt worden – und auf mein Äußeres reduziert, wie Mann das ja bei jungen Frauen gerne tat und tut. Naja. Großes Fass. Viel Tinte.

    Schlussworte: Wir können unsere Wahrnehmung und alle damit einhergehenden Be-/Misshandlungen nur dauerhaft verändern, wenn wir uns selbst verändern, sprich: So leben wie wir leben wollen. Einfach gesagt, jaja. Häutungen stehen an. Liebe Frauen. Vor allem ein ungezwungener Umgang mit unserer Sexualität bzw. ein offenes Kommunizieren darüber. Weil die ekelhaft verklebt ist mit Zuschreibungen. Und mit Narben. Es sind nicht nur die aktuellen Verletzungen, die uns beeinträchtigen, sondern auch längst vergangen geglaubte wie Hexenverbrennungen, das Recht der ersten Nacht, das ganze christliche Shaming sowieso. er Begriff Frau (und damit deren Begreifen ohne jede Aufdringlichkeit) – da ist richtig viel zu tun. Überall stehen sie, die Fässer. Los, öffnen wir sie. Die Tinte ist guter Hoffnung or so. I will beitragen yes.

  • Schreiben und leben als Kreative während der Coronakrise

    Schreiben und leben als Kreative während der Coronakrise

    Für viele scheint die Coronakrise dieser Tage Quelle unmäßiger Inspiration zu sein. Texte, Kunstwerke, Veranstaltungsformate – alle reagieren sie auf das Virus, nehmen es auf, verwandeln es in kreative Energie, Projekte, Werke. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man sich online umschaut. Ich für meinen Teil finde weder Virus noch Krise besonders anregend. Natürlich sind Lehren entdeckbar, natürlich erfordert Umstellung immer ein besonderes Maß an Kreativität, ungewöhnliche Arbeitsweisen und Arbeitsaspekte, die sich auswirken. Aber insgesamt. Sorry, da hat es sich für meine Begriffe schon ziemlich aus gewirkt. Ich vermisse das Unmittelbare. Für mich erfordert schöpferische Tätigkeit direkte Begegnung, direktes Erfahren von Bildern, Eindrücken, Performenden, Stimmungen, Ausstrahlungen, Emotionen, Räumen – die anstecken.

    Mehr und mehr klumpen mittlerweile virale Lesungen, virtuelle Ausstellungen, gestreamte Theaterinszenierungen für mich zu einem Angebotsbrei zusammen. Mir vergeht die Lust, mich damit zu beschäftigen. Das Erleben bleibt auf Distanz. Die irgendwie immer mühsamer zu überwinden ist, vielleicht auch schon immer mühsam war. Klar, ist es auch toll, dass man an so viele Orte einfach zuschalten kann, in einen endlosen Stream of Consciousness eintauchen. Aber das Display bleibt. Als Distanzhalter. Als Abstandshalfter Anstandsdämel. Wobei es ja auch vor Corona ständig präsent war und präsent bleiben wird. Daran möchte ich auch gar nicht rütteln, das hat so viele Vorteile, ermöglicht so viele Entwicklungen und Kontakte – trotzdem. Auf Distanz ist anders als live. Wobei. Es fehlen die geselligen Abende, das Ausgehen, der Ausgleich zur disziplinierten Meditation des Schreibens.

    Auch die bildende Kunst, die eigentlich genauso im (mehr oder weniger) stillen Atelier entsteht, bleibt an sich unbeeinträchtigt – und doch schmerzt auch hier mit der Zeit immer ärger die zwanghafte Absonderung. Es braucht Gesellschaft, Miteinander, Veranstaltungen, Gespräche. Auch pfauige Vernissagen, den permanenten Opernball der Künste, zwar voller Eitelkeiten und oft ätzender Selbstinszenierung, aber auch voller Vitalität, animierender Überdrehtheit, unfassbarer Rotationskraft, die Ideen aus ihren Rockschößen schleudert wie Goldkonfetti. Alle Künste leben für mich von den Extremen: Konzentration und Dekonzentration, Sammlung und Verschwendung, Isolation und Auftritt. Nach all den Coronawochen wird es zusehends schwieriger, da die Balance zu halten.

     

    Im Atelier, Foto privat.                        /                       Ankündigung der Ausstellung Context III.

     

    Mit unglaublichem Enthusiasmus habe ich mich anfänglich in die neue, unbekannte Situation begeben. Kunst- und Lesevideos sind entstanden, die ohne Corona nicht existieren würden. Ich habe weiterhin geschrieben, weiterhin künstlerisch gearbeitet und verlegerisch. Vieles ist in den letzten Wochen entstanden, vieles vorangekommen. Trotzdem. Das Atmen durch die Maske wird zäher. Besonders gefreut habe ich mich, dass die Ausstellungen, an denen ich in den letzten Monaten beteiligt war, online stattfinden können/konnten, das hat belebt („Heimat: Denke global, handle lokal“, Group Global 3000, Galerie für nachhaltige Kunst, Berlin; „Context III“, Foundry Art Centre, St. Charles, MO, USA)– und dass ich Neues fürs Theater schreiben konnte, im Ensemble des European Creative Lab des Aktionstheater.Panoptikum. Denn das Stück, für das ich Anfang des Jahres eine Textcollage geschaffen habe, musste aufgrund von Corona auf 2021 verschoben werden. Und wieder: Trotzdem. All die Begegnungen die nie stattgefunden haben – ist das reparabel? Bzw.: Es bleibt das Gefühl, etwas verpasst zu haben, dazu gezwungen worden zu sein, etwas zu verpassen.

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    Mehr Informationen

    Im Rahmen des European Creative Lab des Aktionstheaters Pan.Optikum (künstlerische Leitung:
    Sigrun Fritsch) entstandenes Video. Musik: Tobias Schwab, Video: Jennifer Rohrbacher, Text: von mir.

     

    Besonders Theatermenschen/Schauspieler*innen aller Sparten leiden unter der Krise, schließlich bedeutet diese praktisch ein Berufsverbot. Und sowas tut nicht nur finanziell weh oder treibt sogar in Existenznöte, sondern trifft auch seelisch – schließlich brauchen Performer*innen Publikum. Erst durch die Energie des Gegenseitigen, die Reibung, die Blicke der Betrachter*innen fährt schließlich tatsächlich Leben ins Spiel, kann sich dieses erst wirklich entfalten. Wie im echten Leben. Wer haut schon gerne dauerhaft Tennisbälle einsam für sich gegen die Wand?

    Die Raumveränderungen dieser Tage sind extrem, stechen mir besonders ins Auge. Wie bewegen wir uns im Moment? In unseren Blasen? In unseren Abstands-Clouds, auch online? Wie nehmen wir öffentliche Räume wahr, auf? Wie (ver-)formt sich unsere Raumwahrnehmung? Langfristig? Wie unser Verhalten, unsere Gesten, Attitüden? Wie wirkt sich die soziale Distanz auf die Wahrnehmung unserer Mitmenschen aus? Auf unser Verhalten im Umgang? Stehen Umgehungen an? Welche Bewegungsmuster werden auffällig, erwarten uns zukünftig? Wird sich unser Reigen endgültig im Ellbogengeschubse verstolpern? Wie sehen die Tänze der Zukunft aus, wie unsere Choreographien? Was schreibt uns das Virus an Informationen ein, allein durch seine Anwesenheit? Wie speichern wir uns und wie daten wir uns up? Ich habe keine Ahnung. Ich bin gespannt. Möglich, dass nach der Distanz die Nähe folgt. Oder zumindest hier und dort folgen möchte. Dem wäre ich nicht abgeneigt. Ihre Wege sind bekanntlich die nachhaltigsten. Sagte mal eine Archäologin für Frühgeschichte.

     

     

     

    ACHTUNG, Werbung 😉 :

    Neue Text- & Bild-Filmchen findet ihr hier:

    Mein YOUTUBE-Kanal

    Freue mich über Abos. Danke.

     

     

     

     

     

  • LitVideos, Lesungen, Mini-Textauszüge – Vorstellung meines YouTube-Kanals

    LitVideos, Lesungen, Mini-Textauszüge – Vorstellung meines YouTube-Kanals

    Eigentlich habe ich ihn ja schon viel länger. Aber. Er lag brach. Der YouTube-Kanal. Man kennt das. Da meldet man sich irgendwo in einem sozialen Netzwerk, auf einer Plattform an. Weil man das so macht. Weil man das braucht. Bespielen soll(te). Als Selbständige. Kreative. Schaffende. Um die eigenen Projekte. Zu teilen. Bekannt zu machen. Das Selbstmarketing zu pflegen. Und dann. Hat man doch keinen Bock. Oder auch keine Zeit. Oder gibt vor, keine Zeit zu haben, weil man keinen Bock hat. Aber haben sollte. Lügt sich in die. Jedenfalls. Irgendwann ist es dann trotz allem so weit. Man packt es an. Handelt. Klimmzug. Und stellt dann manchmal fest, dass es sich so fordernd gar nicht ausnimmt. Entwickelt teils sogar regelrecht eine Lust oder eine Freude am medialen Tun. Spürt frischen Input, vom eigenen Output erzeugt. Weil plötzlich Platz winkt, für neue Ideen. Projekte. Bestrebungen. Hach.

    Das ist die Geschichte meines YouTube-Kanals. Zumindest so ungefähr. Zumindest seit zwei Monaten. Plötzlich passiert dort etwas. Und was nicht alles. – Wie lange es anhält? Wenn ich das wüsste. Momentan lohnt sich indes das gelegentliche Vorbeischauen. Einiges ist eingelesen. (Auch Ungedrucktes.) Und abspielbar. Sogar in Form kurzer und kürzester Textauszug-Videos mit (Achtung, weil WOW) schicker Typo-Animation. Also, wenn das nicht. Man kann da jetzt. Hören und Lesen. Entweder oder auch. Oder auch beim Hören mitlesen. Ich bin ganz stolz, weil ich diese Typo-Animationen selbst vorgenommen habe. Ja, tatsächlich. Und die Grafiken (immerhin) selbst ausgewählt. Das finale Styling der Videos oblag, obliegt dann allerdings doch dem Gestalter an meiner Seite… 😉

    Neugierig? – Großartig!

    Einfach meinen Kanal besuchen, klick:

    YouTube

    Oder hier eingebettete Kurzträumchen ansehen:

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    Mehr Informationen

    https://www.youtube.com/watch?v=htmHmUVE57I

    https://www.youtube.com/watch?v=zQh49FVmrT0

  • Von Verwandlungen – Die wundersamen Wege meines ersten Erzählbands

    Von Verwandlungen – Die wundersamen Wege meines ersten Erzählbands

    Anfang September erscheint mein dritter Erzählband. Ausgerechnet Von Verwandlungen (erschienen im Frühjahr 2017) entfaltet in diesem Jahr eine erstaunliche Eigendynamik. Da ich das Buch auf meinem Blog noch gar nicht vorgestellt habe (gibt`s erst seit 2018), möchte ich das nun nachholen.

    Es begab sich. Und dazu kam 2015 das Bedürfnis, kürzere Texte zu schreiben. Experimente zu wagen, mich dem Erfinden hinzugeben. Ein Burn-out löste aus. Wer hätte das gedacht. Die Erzählung Undine. (Nebenbei auch zu einer Verlagsgründung). Undine war eigentlich als Einzelveröffentlichung gedacht, kleene Novelle (Echo: Welle). Das Burn-out verbrannte ordentlich Papier. Bei zwei Verlagen angefragt. Zu mehr hatte ich weder Kraft noch Lust. Als ich von nichts hörte, hörte ich auf mich.

    Nach Undine entstand Im Café. (Streng genommen keine Erzählung, sondern eine Kurzgeschichte.) Der Text, ich formuliere es mal drastisch stellte einen Wendepunkt meines Schreibens dar. Ich komme vom Dramatischen, von der Lyrik, vom Kurztext (schon back at school). Plötzlich erlaubte ich mir zum ersten Mal, mich nicht mehr an überall verlangten Romanen abzumühen. Warum nicht auf Romane pfeifen? Texte nach meinem Geschmack zu gestalten, fern gängiger Richtlinien.

    Und plötzlich verstand ich: Das ist mein Stil. Darum haben meine Theaterstücke so wenig Personen, sind meine Romane so lyrisch, ist meine Lyrik so lang. Darum dieser Stilpluralismus (der ja, ganz gleich auf welchem Gebiet, in der Regel nicht als kreative Leistung anerkannt wird, sondern als Unentschiedenheit und Nicht-Können abgetan). Auch wurde mir klar, dass solche literarischen Experimente in der Konsequenz ein Selbstverlegen erfordern, weil viele Lektorat sie nicht gestatten. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Bitte weiter so. Es braucht auch literarisch künstlerische Freiheit, Forschen auf neuem Terrain.

    Von Verwandlungen umfasst 7 Texte. Neben Im Café und Undine sind das:

    • Brücken (Protagonist reflektiert Selbstmord eines Jugendfreunds)
    • Hater (Hasskommentare)
    • Sprengkörper (Attentäter aus Sicht eines Kindes)
    • Von Bäumen (Kriegsgeschichte/magischer Realismus)
    • Avatare (ein Schriftsteller versucht auf Geheiß seiner Lektorin mit Science-Fiction)

    Den Hater mochte ich, wie viele Leser*innen, so gerne, dass mittlerweile ein zweiter und ein dritter Teil existieren (jeweils in den beiden Folge-Erzählbänden) – insbesondere Teil II habe ich letztes Jahr oft bei Berliner Lesereihen vorgelesen (auch weil queere Literatur).

    Von Bäumen mochte die Theatermacherin Sigrun Fritsch des  Aktionstheaters PAN.OPTIKUM und nahm den Text als Grundlage für eine Inszenierung beim 25-jährigen Jubiläum des Landschaftsparks Duisburg

    (Screenshot: Hompepage des Aktionstheaters Pan.Optikum, Fotos: Jennifer Rohrbacher) 

    Im Café ist bis heute eine meiner Lieblingsgeschichten. Die Geschichte hat sich darüber hinaus als erstaunlich massentauglich erwiesen. Egal, welches Alter/Geschlecht/welche Tagesform – die meisten mögen diesen Text.

    Avatare habe ich erstmalig im Rahmen von Literatur auf der Parkbank vorgelesen. Zur Veranstaltung findet sich ein Video auf dem YouTube-Kanal des VHV-Verlags. Ebenso diese Aufnahme – und übrigens auch eine Aufnahme von Im Café:

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    Rezension auf Literaturcafé.de

    Kaufen gerne beim Verlag oder in der unabhängigen Buchhandlung

     

     

  • #readme – Lesung & Ausstellung mit Gästen

    #readme – Lesung & Ausstellung mit Gästen

    Nach den vielfältigen Erfahrungen bei Lesungen im letzten Jahr, hatte ich Lust, selbst eine zu organisieren. Am liebsten in einem Kunstraum, weil am liebsten interdisziplinär. Lesende waren: Autor & Verleger Jürgen Volk mit seinem Roman Unbedingt“ über Van Gogh und Gauguin im gelben Haus. Eine achtwöchige Wohngemeinschaft, die bis heute die Kunstgeschichte in Atem hält und mit einem abgeschnittenen Ohr endete. Der Roman erlebt momentan als Taschenbuch im Bernstein Verlag seine 2.Auflage, als E-Book bei Edel Elements. Jürgen Volk selbst ist Mitgründer des Verlags duotincta. So ergab sich auch die Einladung des zweiten Lesenden: Daniel Breuer. 2017 erschien sein Romandebüt „nathanroad.rec“ bei duotincta, das ich mit großer Begeisterung gelesen hatte.

         

    Natürlich wollte ich auch selbst mitlesen, aus dem Manuskript des Erzählbands Vom Miteinander.

    Als Veranstaltungsort bot sich der Artspace im_raum der Fotografin Anke Jungbluth an, der sich im Souterrain des Hauses befindet, in dem auch der VHV-Verlag ansässig ist. Die Künstlerin war sofort angetan von der Idee.

          

    Der Abend war sehr gut besucht, das Format stieß auf großes Interesse, auch wenn v.a. Friends und Family da waren, aber auch Nachbarschaft  (DANKE allen, die da waren!) – alles muss wachsen. Das Feedback war sehr positiv und ermutigend. Ein #2 scheint unausweichlich. 🙂

    (Lesungen v.o.n.u.: Daniel Breuer, „Grand Mal“; Jürgen Volk, „Unbedingt“; Victoria Hohmann, „Vom Miteinander“.

    Fotos: Geneviève Debien, Andreas Vierheller, Victoria Hohmann).

     

  • Auf der Leipziger Buchmesse 2019

    Auf der Leipziger Buchmesse 2019

    Die Leipziger Buchmesse war, rückblickend, tatsächlich ziemlich entspannt. Ich merke, dass sich doch eine gewisse Routine eingestellt hat – nicht nur in Bezug auf Lesungen, sondern auch was Messealltag betrifft. Wirklich aufregend fand ich daher nur zwei Situationen: den Standaufbau (OMG, ob alles funktioniert wie geplant und letztendlich überhaupt gut aussieht…!) und meinen ersten Mini-Auftritt als Verlegerin bei der Lesung meiner Autor*innen (Kerstin Meixner und Holger Heiland). Es glückte jedoch alles. Und nun bin ich wieder um Erfahrungen reicher. Und entspannter, was Zukünftiges anbelangt. Es ist schon erstaunlich, wie man so Schritt für Schritt vorwärts geht (um ein Bild des linearen Denkens zu verwenden), gelegentlich innehält, zurückschaut und: WOW. Diese ganzen Serpentinen. Diese ätzenden Sanddünen. Diese verdammte Route 666. Auch dieses scheiß 1-2-3. Aber. YES.

    In der Rolle der Verlegerin, Leipziger Buchmesse, 21.03.2019, 

    Foto: Andreas Vierheller

    Wesentlich waren natürlich die Begegnungen & Gespräche auf der LBM. Lesungen konnte ich leider nur sehr begrenzt wahrnehmen, schade. Das will ich in kommenden Jahren ändern. Besonders gefreut habe ich mich über die Besuche von Leser*innen und Buchblogger*innen am Stand. Mit manchen besteht seit meinem ersten Erzählband „Von Verwandlungen“ Kontakt. Und der wird immer freundschaftlicher. Man tauscht sich neben Literatur auch über die Lebenswege aus. Einfach schön! <3 Ein Highlight war dann das Treffen mit einer Freundin aus Schulzeiten, die Ende der 90er Ensemblemitglied meiner damaligen Theatergruppe war – wir hatten uns völlig aus den Augen verloren und nun war sie zufällig auch auf der Buchmesse, als Moderatorin  – und ihr Freund als erfolgreich aufstrebender Jungautor eines anderen unabhängigen Verlags. Wie das Leben so spielt…! I love it.

    Ein weiteres Highlight war der Indie-Abend im Beyerhaus, initiiert vom Verlag duotincta. Ich bin den Kolleg*innen sehr dankbar, nicht nur für die Orga, sondern auch für das so ermöglichte Learning by Doing, was einfach mein Ding ist. Darüber hinaus macht es mir auch immer extra Spaß, selbst zu lesen – Schauspiel war ja nie so richtig meins, da keine Rampensau, aber ab und an auf einem Bühnchen etwas vortragen und zwar eher lesend, denn darstellend…! Und danach mit Büchermenschen ein Bierchen trinken und andere Literaturschaffende kennenlernen – mit Vergnügen! 🙂

    Indie-Abend, Beyerhaus Leipzig, im Rahmen von „Leipzig liest“, 21.03.2019, 

    Foto: Andreas Vierheller

    Fazit: Die Leipziger Buchmesse möge bitte schön eine Konstante in meinem Leben werden – im Autorinnen- wie im Verlegerinnenleben gleichermaßen. Ich freue mich schon aufs nächste Jahr (so phrasenhaft das auch klingen mag). Und bin gespannt, wo VHV und VH in 5 Jahren sein werden. Mal schauen, was das Leben für Karten auf den Tisch klatscht.

    Nach der Eröffnung, Gewandhaus Leipzig, 20.03.2019, 

    Foto: Andreas Vierheller

     

  • Gastlesung bei den „#4 Lesezeiten“ des Verlags duotincta

    Gastlesung bei den „#4 Lesezeiten“ des Verlags duotincta

    Viel zu lang ist es schon wieder her, dass ich als Autorin und Verlegerin bei der Lesereihe des Verlags duotincta zu Gast sein durfte. Das war nämlich bereits im letzten Jahr. Um genau zu sein am 18.Dezember. Besagte Lesereihe trägt den hübschen Namen „Die #4 Lesezeiten“ und findet, wie unschwer zu erraten, quartalsweise statt. Neuer Leseort ist das Periplaneta Literaturcafé hier in Berlin. (Die nächste Lesezeit kommt also bestimmt. Bei Gelegenheit darum aufmerken und hingehen!)

    Gemeinsam mit Stefanie Schleemilch durfte ich zu den Themen: „Hass, Chauvinismus, Sexismus, Diffamierung, sexuelle Gewalt bzw. Stichwort #metoo“ (wie die Vorankündigung lockte) den Abend gestalten. 😉 🙂

    Gelesen habe ich aus meinem aktuellen Erzählband „Vom Dazwischen“. Einen ausführlicheren Rückblick auf die Veranstaltung findet ihr als Gastbeitrag von mir auf dem Blog der duotincta. Lesen lohnt sich. Merci vielmals für den schönen Abend! Und auf viele weitere gemeinsame Lesungen!

    Lesung bei den „# 4 Leszeiten“ des Verlags duotincta. 18.Dezember 2018, Periplaneta Literaturcafé. Foto: Ike Reiter

  • BuchBerlin 2018

    BuchBerlin 2018

    Auch in diesem Jahr war ich wieder als Autorin und Verlegerin auf der BuchBerlin. Diesmal schon recht routiniert. Wie schnell das doch geht. Am zweiten Messetag habe ich nachmittags aus meinem neuen Erzählband „Vom Dazwischen“ gelesen, den „Hater II“. Ein eher experimenteller Text. Tatsächlich konnte ich auch Zuhörer*innen aufrichtig begeistern. 😉 Es freut mich sehr, wenn Leser*innen sich von experimentellen Texten angesprochen fühlen, abseits der Genre-Schubladen.

    Vor der Lesung, BuchBerlin 2018. 

    Der Ort der Lesung, ein Seminarraum, war zwar nicht unbedingt gemütlich, aber wesentlich angenehmer als im letzten Jahr. Da fand die Lesung auf einer Empore oberhalb der Messehalle statt. Dementsprechend war der heraufdringende Lärm beträchtlich und den Zuhörer*in und der Leserin wurde ein hohes Maß an Konzentration abverlangt. Ein schrecklicher Ort für eine Lesung. Hat mich deprimiert. Welch Auftakt. Jede Branche hat ihre branches in the way. Mal sehen.

    Während der Lesung, BuchBerlin 2017, Foto: Senay Yüksel.

    Doch zurück zum entspannten Jahr. Hier will und muss ich noch erwähnen, dass eine der Zuhörerinnen bereits mein erstes Buch durch eine Leserunde auf Lovelybooks kannte. Für mich eine tolle Überraschung! Ermutigend. Und eine sehr schöne Begegnung. Ich hoffe, ganz allmähliche ziehen meine Erzählungen ihre Kreise.

    Mehr zu meinen Büchern findest du hier.

     

  • Rückblick auf den Weg meines Erzählbands „Vom Dazwischen“

    Rückblick auf den Weg meines Erzählbands „Vom Dazwischen“

    Viel ist passiert. Blicke ich zurück, ist es erstaunlich, was rund um meinen Erzählband Vom Dazwischen bisher passiert ist. Stetig findet er neue Leser*innen und verschafft sich mehr Gehör. Für die Autorin ist das natürlich eine wunderbare Entwicklung…!

    Wie es mit Vom Dazwischen anfing? Nachdem mein erster Erzählband Von Verwandlungen so gut angekommen war, habe ich den Mut gefunden, mit meinem zweiten Erzählband so richtig an die Öffentlichkeit zu gehen – nicht mehr mit angezogener Handbremse. Also habe ich Geschichten aus Vom Dazwischen (das Buch war noch in Arbeit) an zwei Berliner Vorlesebühnen geschickt. Mir war es wichtig, als Autorin anonym zu bleiben und ausschließlich Feedback zu meinen Texten zu bekommen.

    Der Text Selfiestickerei wurde im Dezember 2017 beim Konzept*Feuerpudel von Alexander Lehnert vorgestellt – und vom Publikum auf Platz 1 gewählt. Ich hatte vor und während der Lesung mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Wie das wahrscheinlich allen Autor*innen geht, die chronische Selbstzweifel plagen. Der Text Frau mit Hund (sucht) wurde im Januar 2018 bei books without covers (organisiert von Susann Hochgräf) im TiK von der Schauspielerin Felicity Grist vorgelesen. Wenn man eigene Texte gelesen hört, kann man sehr gut feststellen, wo man noch ein bisschen feilen sollte – was ich anschließend tat – bevor ich beide Erzählungen mit zehn weiteren im März 2018 als Erzählband Vom Dazwischen in meinem Verlag veröffentlichte. (Siehe: vhv-verlag.de)

    @ books without covers, 26.01.2018, mit v.l. Wlada Kolosova & Hund (nicht die „Frau mit Hund“;-) ) sowie Felicity Grist, Foto: Svea Landschoof

    Die nächste Station war die Leipziger Buchmesse (die ich übrigens zwei Wochen nach einer OP bestritt, obwohl eigentlich sechs Wochen Erholung angesagt gewesen wären – und ehrlich gesagt, gar nicht weiß, wie ich das überlebt habe. Insbesondere den letzten Tag, an dem auch meine Lesung vor Ort stattfand. Für mich war das, im Nachhinein, eine Art Feuertaufe. Lektion: Wenn einem etwas lebenswichtig ist, wird man es schaffen.) Auf der LBM las ich allerdings nicht aus Vom Dazwischen, sondern aus Von Verwandlungen, da ich da schon besser einschätzen konnte, was auf jeden Fall ankommt und sich für ein breiteres Publikum eignet. Ein Glücksfall vor Ort war die Begegnung mit dem Literaturkritiker Malte Bremer von literaturcafé.de – der beide Bücher erstand und, restlos begeistert, eine Buchkritik schrieb. (Hier nachzulesen: literaturcafé.de)

    Leipziger Buchmesse 2018, @ Leseinsel Autorengemeinschaft, Foto: Daniel Arnold

    Bevor mich jedoch dieses unglaublich motivierende Kritikerlob in den Nachwehen der LBM erreichte, fand die Buchvorstellung im Periplaneta Literaturcafé in Prenzlauer Berg statt. Sie war gut besucht, auch wenn die Hälfte des Publikums aus Freund*innen & Bekannten bestand – und das Feedback wiederum erstaunlich für die ober selbstkritische Autorin. Wie schon bei der allerersten Lesung seit Verlagsgründung (Mai 2017, Lesung aus Von Verwandlungen im eigenen Atelier) fanden nicht nur die Texte, sondern ebenso mein Lesestil Anklang. (Endlich ist mir klar, warum ich ein Schauspiel-Grundstudium absolviert habe…!)

    Lesung @ Periplaneta Literaturcafé, 04.05.2018, Foto: Andreas Vierheller

    Weitere Lesungen folgten: im Rahmen des Kunstfestivals 48h Neukölln in der LiTE-Haus Galerie (ermöglicht dank des Galeristen & Bildhauers Klaus Eichner), im Rahmen der Art Kreuzberg, im Lesezelt auf dem Mittenwalder Straßenfest (organistert von mog.61, Verleger Robert S. Plaul und mir) sowie bei den Lesebühnen tati liest underground in Prenzlauer Berg (organisiert von Holger Heiland) und Sprechstunde: Nebensatz in Kreuzberg (organisiert von Robert Klages).

    @ Sprechstunde: Nebensatz, Berlin-Kreuzberg, 27.10.2018, Foto: Jürgen Volk

    @ 48 Neukölln, LiTE-Haus Galerie, 24.06.2018, Fotos: Klaus Eichner

    Mehr Lesungen stehen an, z.B. im Rahmen der diesjährigen BUCHBERLIN und auf Einladung des Verlags duotincta. (Siehe: Termine)

    Unglaublich wichtig für die Verbreitung von Vom Dazwischen waren und sind auch alle Buchblogger*innen, die ich dank Lovelybooks & sozialer Netzwerke entdeckte oder sie mich und die Lust auf das Buch einer völlig unbekannten Autorin hatten/haben. Schließlich ist man, heute mehr denn je, auf Influencer*innen angewiesen – überhaupt auf Menschen, die zur Verbreitung beitragen. Was mich von dieser Seite bisher an Rückmeldungen und Eindrücken erreicht hat, ist ein großes Geschenk. Rezensionen zu lesen und zu erfahren, was wie aufgenommen/empfunden wurde, bleibt wahrscheinlich eins der spannendsten Erlebnisse im Autor*innenalltag. – Das allergrößte Geschenk, sei an dieser Stelle hinzugefügt, sind für mich Literaturbegeisterte, die schon den zweiten Erzählband von mir lesen. Und zwar freiwillig. Und dann Parallelen, Variationen, Entwicklungen feststellen und darüber schreiben. WOW. Wie großartig ist das! Jeder fremde Blick auf das eigene Werk erweitert ja den eigenen – und damit den eignen Horizont allgemein.

    Wie es weitergeht? Da lasse ich mich gerne überraschen. Und tue natürlich weiterhin, was ich kann.

    Ein Fazit? Mein Fazit? Machen. Und weitermachen. Alles, was einen Weg finden soll, findet einen Weg – da bin ich mir sicher. Außerdem lässt sich beim Machen feststellen, ob man mit Herzblut dabei ist oder bloß einer fixen Idee erlegen. Auch findet man sich schon nach einigen Monaten ganz bestimmt an einem völlig anderen & unerwarteten Punkt der Geschichte der eigenen Geschichten wieder. Und genau das will man schließlich.

    Neugierig? Hier geht`s zur Leseprobe.

    Und hier zum Verlagsshop.

    …Schließlich nähert sich Weihnachten – und ein Buchgeschenk kommt immer gut!