Schreiben und leben als Kreative während der Coronakrise

Für viele scheint die Coronakrise dieser Tage Quelle unmäßiger Inspiration zu sein. Texte, Kunstwerke, Veranstaltungsformate – alle reagieren sie auf das Virus, nehmen es auf, verwandeln es in kreative Energie, Projekte, Werke. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man sich online umschaut. Ich für meinen Teil finde weder Virus noch Krise besonders anregend. Natürlich sind Lehren entdeckbar, natürlich erfordert Umstellung immer ein besonderes Maß an Kreativität, ungewöhnliche Arbeitsweisen und Arbeitsaspekte, die sich auswirken. Aber insgesamt. Sorry, da hat es sich für meine Begriffe schon ziemlich aus gewirkt. Ich vermisse das Unmittelbare. Für mich erfordert schöpferische Tätigkeit direkte Begegnung, direktes Erfahren von Bildern, Eindrücken, Performenden, Stimmungen, Ausstrahlungen, Emotionen, Räumen – die anstecken.

Mehr und mehr klumpen mittlerweile virale Lesungen, virtuelle Ausstellungen, gestreamte Theaterinszenierungen für mich zu einem Angebotsbrei zusammen. Mir vergeht die Lust, mich damit zu beschäftigen. Das Erleben bleibt auf Distanz. Die irgendwie immer mühsamer zu überwinden ist, vielleicht auch schon immer mühsam war. Klar, ist es auch toll, dass man an so viele Orte einfach zuschalten kann, in einen endlosen Stream of Consciousness eintauchen. Aber das Display bleibt. Als Distanzhalter. Als Abstandshalfter Anstandsdämel. Wobei es ja auch vor Corona ständig präsent war und präsent bleiben wird. Daran möchte ich auch gar nicht rütteln, das hat so viele Vorteile, ermöglicht so viele Entwicklungen und Kontakte – trotzdem. Auf Distanz ist anders als live. Wobei. Es fehlen die geselligen Abende, das Ausgehen, der Ausgleich zur disziplinierten Meditation des Schreibens.

Auch die bildende Kunst, die eigentlich genauso im (mehr oder weniger) stillen Atelier entsteht, bleibt an sich unbeeinträchtigt – und doch schmerzt auch hier mit der Zeit immer ärger die zwanghafte Absonderung. Es braucht Gesellschaft, Miteinander, Veranstaltungen, Gespräche. Auch pfauige Vernissagen, den permanenten Opernball der Künste, zwar voller Eitelkeiten und oft ätzender Selbstinszenierung, aber auch voller Vitalität, animierender Überdrehtheit, unfassbarer Rotationskraft, die Ideen aus ihren Rockschößen schleudert wie Goldkonfetti. Alle Künste leben für mich von den Extremen: Konzentration und Dekonzentration, Sammlung und Verschwendung, Isolation und Auftritt. Nach all den Coronawochen wird es zusehends schwieriger, da die Balance zu halten.

 

Im Atelier, Foto privat.                        /                       Ankündigung der Ausstellung Context III.

 

Mit unglaublichem Enthusiasmus habe ich mich anfänglich in die neue, unbekannte Situation begeben. Kunst- und Lesevideos sind entstanden, die ohne Corona nicht existieren würden. Ich habe weiterhin geschrieben, weiterhin künstlerisch gearbeitet und verlegerisch. Vieles ist in den letzten Wochen entstanden, vieles vorangekommen. Trotzdem. Das Atmen durch die Maske wird zäher. Besonders gefreut habe ich mich, dass die Ausstellungen, an denen ich in den letzten Monaten beteiligt war, online stattfinden können/konnten, das hat belebt („Heimat: Denke global, handle lokal“, Group Global 3000, Galerie für nachhaltige Kunst, Berlin; „Context III“, Foundry Art Centre, St. Charles, MO, USA)– und dass ich Neues fürs Theater schreiben konnte, im Ensemble des European Creative Lab des Aktionstheater.Panoptikum. Denn das Stück, für das ich Anfang des Jahres eine Textcollage geschaffen habe, musste aufgrund von Corona auf 2021 verschoben werden. Und wieder: Trotzdem. All die Begegnungen die nie stattgefunden haben – ist das reparabel? Bzw.: Es bleibt das Gefühl, etwas verpasst zu haben, dazu gezwungen worden zu sein, etwas zu verpassen.

Im Rahmen des European Creative Lab des Aktionstheaters Pan.Optikum (künstlerische Leitung:
Sigrun Fritsch) entstandenes Video. Musik: Tobias Schwab, Video: Jennifer Rohrbacher, Text: von mir.

 

Besonders Theatermenschen/Schauspieler*innen aller Sparten leiden unter der Krise, schließlich bedeutet diese praktisch ein Berufsverbot. Und sowas tut nicht nur finanziell weh oder treibt sogar in Existenznöte, sondern trifft auch seelisch – schließlich brauchen Performer*innen Publikum. Erst durch die Energie des Gegenseitigen, die Reibung, die Blicke der Betrachter*innen fährt schließlich tatsächlich Leben ins Spiel, kann sich dieses erst wirklich entfalten. Wie im echten Leben. Wer haut schon gerne dauerhaft Tennisbälle einsam für sich gegen die Wand?

Die Raumveränderungen dieser Tage sind extrem, stechen mir besonders ins Auge. Wie bewegen wir uns im Moment? In unseren Blasen? In unseren Abstands-Clouds, auch online? Wie nehmen wir öffentliche Räume wahr, auf? Wie (ver-)formt sich unsere Raumwahrnehmung? Langfristig? Wie unser Verhalten, unsere Gesten, Attitüden? Wie wirkt sich die soziale Distanz auf die Wahrnehmung unserer Mitmenschen aus? Auf unser Verhalten im Umgang? Stehen Umgehungen an? Welche Bewegungsmuster werden auffällig, erwarten uns zukünftig? Wird sich unser Reigen endgültig im Ellbogengeschubse verstolpern? Wie sehen die Tänze der Zukunft aus, wie unsere Choreographien? Was schreibt uns das Virus an Informationen ein, allein durch seine Anwesenheit? Wie speichern wir uns und wie daten wir uns up? Ich habe keine Ahnung. Ich bin gespannt. Möglich, dass nach der Distanz die Nähe folgt. Oder zumindest hier und dort folgen möchte. Dem wäre ich nicht abgeneigt. Ihre Wege sind bekanntlich die nachhaltigsten. Sagte mal eine Archäologin für Frühgeschichte.

 

 

 

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