Balanceakte – neuer Textband

Der Wunsch, Texte aus meinen ersten drei Erzählbänden unter neuem Motto zu versammeln, keimte schon vor einer Weile. 2022 und 2023 habe ich Zeit damit verbracht, diese älteren Texte zu überarbeiten – manche dezent verdichtend, manche massiv verändernd, z.B. habe ich bei dem Text „Brücken“ den Schluss komplett umgeschrieben. Manche Texte habe ich auch einfach so stehen gelassen, wie „Im Café“ und „Schwarzwäldersahnetot“. Bei „alle gleich“ habe ich mich, abgesehen von den Kürzungen und neuen Passagen, in dichterischer Manier für ein konsequentes Kleinschreiben mit Trennstrichen entschieden. Texte wie „Transposition“ und „Selfiestickerei“ sind durch das Weniger mehr geworden. Bei „Stück Welt und „Von Bäumen“ habe ich mit zarten Stellschrauben gearbeitet, die jedoch viel mit den Texten machen. Alles gefällt mir so besser, ist wieder etwas reifer, hat vielleicht nun eine finale Form gefunden oder eine Form, die ich jetzt erstmal so stehen lassen kann. Sich selbst zu lektorieren ist ja nicht einfach, braucht Zeit, Abstand, Erfahrung. Und es soll ja immer ein Buch dabei herauskommen, das Spaß macht, überrascht, wirkt.

Richtig schwierig ist es dann, einen Titel zu finden. Klar war mir thematisch: Die Texte haben alle mit „Krisen“ zu tun – aber welche Texte haben das nicht. Viele Krisen darunter sind im Grunde Midlife-Krisen, aber auch wenn mich das Thema momentan weiterhin umtreibt, wollte ich nach dem Theaterstück „Midlife-Trip“ nicht auch noch einen Erzählband so überschreiben. Auch, weil es den unterschiedlichen Krisen der Protagonist*innen nicht gerecht würde. Trotzdem war und ist es mir in diesen Krisenzeiten ein Anliegen, eine allgemeine Krisenhaftigkeit im Titel mitschwingen zu lassen. So habe ich mich dafür entschieden, den Band nach einem der Texte zu benennen: „Balanceakte“. Ein Titel, der die andauernde Herausforderung einer Balance im Leben transportiert, egal bei welcher Baustelle. Ein Titel, der genauso die ausschweifenden Amplituden in sich birgt.

Manche der Texte haben mittlerweile schon ihre eigene Geschichte, haben sich in Theater verwandelt, in Film, sind von anderen gesprochen und vorgelesen worden, gewannen ein Publikum für sich und wurden rezensiert. Ich bin gespannt, wohin ihre Reise in dieser neuen Konstellation (und auch einzeln) geht und freue mich, wenn sie da ankommen, wo es sie hinzieht und sie zu jemandem sprechen.

 

Klappentext: 

patchwork, work-life-balance, klassentreffen, väter & keine versöhnung, care-arbeit bis zur zugspitze, paarbrei on holidays, den faden verlieren, gassi gehen, profilbildneurosen & klimaroulette, ego-geo, traumsequenzen, brücken & lücken, die balance finden verlieren finden verlieren, weitermachen.

ich denke / nicht nur also

Taschenbuch, 240 Seiten. ISBN: 9783948574109

Coverdesign: Andreas Vierheller

VORBESTELLUNGEN sind ab sofort möglich. Das Buch erscheint im Juni 2024 bei OffBeat. 

 

Texte (in Order of Appearance) und ihre Geschichten: 

Transposition – zuerst erschienen in: „Vom Miteinander, VHV-Verlag, 2019

Balanceakte – zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018

Fado – zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018. Audiofile: Youtube. Der Textanfang in der Bar stammt aus dem Jahr 2004 und war Teil meines Theatertexts „augenblick / denke ich“.

Frau mit Hund (sucht) – 2018 @ Lesereihe books without covers, Theater im Kino, Berlin. Zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018.

Schwarzwäldersahnetote – zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018

Stück Welt – 2020 filmische Umsetzung durch den Theater-/Literaturkurs des Montessori Zentrums ANGELL Freiburg in Kooperation mit dem Aktionstheater PAN.OPTIKUM, künstlerische Leitung Luka Fritsch, unter dem Filmtitel Perspektivwechsel (VIMEO). Zuerst erschienen in: „Vom Miteinander, VHV-Verlag, 2019. Der Text ist 2015 während des Studiums entstanden und ist einer der Einstiegstexte ins erneute literarische Schreiben.

Der Punkt – zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018

#HeleneundDirk – zuerst erschienen in: „Vom Miteinander, VHV-Verlag, 2019

alle gleich – zuerst erschienen in: „Vom Miteinander, VHV-Verlag, 2019. Lesung, erste Version: Youtube

Im Café – zuerst erschienen in „Von Verwandlungen“, VHV-Verlag, 2017

Selfiestickerei – erster Platz bei der anonymen Lesereihe Konzept*Feuerpudel, Lettrétage. Zuerst erschienen in: „Vom Dazwischen, VHV-Verlag, 2018

Brücken – zuerst erschienen in „Von Verwandlungen“, VHV-Verlag, 2017

Von Bäumen – 2019 Adaption der Erzählung durch das Aktionstheater PAN.OPTIKUM für das 25-jährige Jubiläum des Landschaftsparks Duisburg, künstlerische Leitung Sigrun Fritsch (VIMEO). 2021 Verwendung von Textteilen für die Musiktheaterproduktion CAMBIO, Leonie Fritsch, Lokhalle Freiburg. Zuerst erschienen in „Von Verwandlungen“, VHV-Verlag, 2017

 

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Erscheinungstermin: Juni 2024

 

Die erste OffBeat-Publikation: Potenz.

Potenz. Ein Langgedicht. 

einfach gestrickt

lässt er das wollen fallen 

Potenz, die (Substantiv, Femininum) – Herkunft aus potentialat ‘Vermögen, Kraft, Macht, Gewalt, Zeugungsfähigkeit’ < potēns ‘mächtig, vermögend, fähig, einflussreich, stark’ ↗ potent adj. ‘stark, mächtig, zeugungsfähig’.

Potenz als männlich konnotierter Begriff. Kraft, Macht, Gewalt, Stärke, Einfluss üben in der Regel Männer aus. Zeugungsfähigkeit als Schlüssel der Reproduktion, als Familien erschaffend, konstituierend, Geschlechter, Häuser, das Fortbestehen der Menschheit sichernd. Dazu Fähigkeit und Vermögen, das auch als finanzielles gelesen werden kann, die Männern zugesprochen werden, von Geburt an. Weil Mann ein Synonym für Mensch ist und Frau ein Synonym für Rippe. Belanglos, dass Frauen Menschen in ihren Gebärmüttern bauen. Was zählt ist der Same, Eier sind egal, liegen da so im Regal des Unterleibs des Weibs. Das Schwach ist, ein Frauenzimmer. Dagegen das Mannsbild. Heraus in die Welt tritt es, um sich, aktiv, stark, zerstörerisch, mächtig, prächtig. Zierlich rankt sich die Rose um den Herrscher, ihn zu zieren. – Ein Ausschnitt haarsträubender, eingetrichterter, binärer Narrative. Die Potenz dieser Narrative potenziert sich mit jedem Individuum. Mythen, Märchen, Muster, Traditionen, die uns mitgegeben werden, sich in uns festgesetzt haben, in denen wir uns versponnen haben und sie aufgrund dieser Jahrhunderte währenden Weitergabe als Wahrheit und Wurzeln empfinden. So tief sitzen diese Erzählungen, sitzt der Glaube zu wissen. Schwierig, da an Perspektiven zu rütteln, andere Perspektiven aufzuzeigen, andere Narrative zu etablieren. Viele Vorstellungen haben sich so fundamental festgesetzt, dass wir selbst als Verfasser*innen, als Urheber*innen dieser Narrative kaum mehr vorstellbar sind. Stößt man also gegen eine alte Vorstellung, um sie ins Rollen zu bringen, wird der Stein des Anstoßes flugs von Konservativismus im Boden zementiert. Veränderung ist nicht gewünscht, wird als gefährlich, als Bedrohung erlebt.

Wie die Schale aufbrechen? Die Nuss knacken? Ohne Angriff, ohne Ohrfeige, ohne Maulschelle. Gibt es da überhaupt eine Möglichkeit? – Humor als Weg. Lachen, das befreit, verwandelt, Perspektiven verschiebt, eine Distanz zu den eigenen Narrativen herstellt. Humor schenkt Abstand, der Neues ermöglicht, eigene Ansichten hinterfragt. Etwas weglachen, sich einen Weg lachen. Schmerz und Scherz. Liegen nah beieinander, können, und können sich guttun.

Ich habe versucht, einen Text zu schreiben, der eingefleischte Narrative humorvoll als selbstverschuldete Narrheiten enttarnt. Als Geschichten, die wir uns erzählen und die nicht auf einer mythischen, grundsätzlichen Wahrheit basieren. Sondern vielleicht auf nichts als kalkulierter Selbstbegrenzung. Die Grenzen aufhebeln. Das Hirn frei machen, neue Synapsen bilden, andere Bilder, Verständnisse von Welt kreieren – Anliegen des Texts. Wir sind alles, was wir uns erlauben zu sein. Etikette kommt von. Genau.

Wir meinen, eine Vorstellung davon zu haben, was eine Frau, was ein Mann ist, hängen einem dualistischen Weltbild an, das uns vermeintlich Sicherheit gibt. Besonders vermeintlich in unruhigen Zeiten. Aber Sicherheit finden wir nicht an Grenzen, an Grenzzäunen, sondern an offenen Grenzübergängen, ohne Grenzkontrollen, denn dann leben wir in Frieden. Potenz möchte Linien verschieben, in Wellen verwandeln, auflösen. Der männlich-sexistische Blick wird invertiert. Was dabei entsteht ist daher kein weiblich-sexistischer Blick, auch nicht ein weiblich-sexistischer Blick verstellt und voreingestellt durch einen männlich-sexistischen Blick, sondern ein Blick, der die Formen verflüssigt und ad absurdum führt. Konsequent invertiert werden Macht-Asymmetrie und Zuschreibungen überraschenderweise nicht zum Gegenteil, sondern der Dualismus bröckelt, gerät ins Wanken, funktioniert nicht mehr.

Ich hoffe auf dieses einfache Gegenmittel, eine Art Gegengift, das nicht in ein Gegenteil verkehrt, sondern so etwas wie neutralisiert, Narrativen ihre Wirksamkeit nimmt, sie aufhebt und in die Luft wirft. Den Dualismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Den Schwung dieses Gegners nutzen. So ernst es auch ist. Mit befreiendem Lachen, das Distanz schafft und Nähe. Ich hoffe, dass dieser Text ein Beitrag sein kann. Zweifel an Tradiertem nährt, Offenheit mehrt.

Ich freue mich auf Leser*innen.

männer in röcken

das ist doch keine revolution mehr

 

Vorbestellungen an: info@victoriahohmann.de

Oder im VHV-Verlagsshop: https://vhv-verlag.de/produkt/potenz-jetzt-vorbestellen/

Danke. <3

FADO – ein Texperiment

FADO – eine vollmundige Trunkenheit ist eine Remix eines Theatermonologs von 2004 mit neuem Text von 2018. Ein Textgewebe. Ein Sprachlabyrinth. Eine Spur. Ein fliegender Klangteppich. Mit Flausen darunter. Eine Suche. Eine Sehnsucht. Und wie so oft ein Versuch, Textnormen abzulegen, mich zu befreien von jeglichen Vorstellungen Verstellungen wie Text zu sein hat. Darum alles auch ein Scheitern, ein Labern und Lallen, ein worttrunkener Rausch Schwips.

Im Labyrinth des Sprachmultiversums…

Veröffentlicht habe ich ihn erstmals 2018 in meinem Textband Vom Dazwischen, VHV-Verlag. Das Buch ist mittlerweile so ziemlich vergriffen. Ein paar Restexemplare habe ich noch, die per Mail: info@victoriahohmann.de bestellt werden können.

Den ganzen Text (22:57 min) gibt es hier auf der Page unter: Audiobooks & Videos

Danke fürs Lesen und Hören.

HÖRPROBE (2:57 min):