Aus dem Reisetagebuch.
Griechenland, Pieria, September 2021:
Mein Mann presst Granatäpfel. Den Saft friert man hier ein und trinkt ihn später mit Tsipouro gemixt. Ich trinke ihn lieber pur. Meine Süße ist mit Oma – Schwiegeroma – im Turmzimmer. Ein Raum mit Fenstern ringsum und kleinem Balkon zu dem eine geweißelte Betontreppe hinaufführt. Oma nutzt ihn als Atelier, dort klebt sie Landschaften aus Strandgut auf Leinwand. Am Nachmittag schlängeln wir uns Serpentinen des Olymps hinauf. Im Café am Hang liegen Kastanien auf dem Weg. Der Garten des Cafés ist verwildert. Ganz anders, als ich ihn in Erinnerung habe. Fast wirkt es, als seien wir in eine andere Zeit geraten. Das Café nur für uns geöffnet. Niemand ist dort. Hinter der überdachten Holztheke des Cafés, mehr provisorische Taverne, erscheint für einen Moment der Wirt – dann sein Sohn, der uns Bergwasser im Tonkrug bringt. Wir sitzen und schauen. Ausblicke. Altmodische schmiedeeiserne Gartenmöbel, die Rost angesetzt haben. Im Zentrum der Tische eine ovale Wasserstelle mit Natursteinmäuerchen. Dort nisten Bienen. Am Eingang ein bemaltes Holztor. Es zeigt ein Paar in antiker Kleidung (Zeus und Hera?). Die Farbe blättert. Aber die Gesichter sind noch gut zu erkennen.
Am Strand liegen, wieder. Neue Bucht. Mit Blick auf die Festung am Meer. Franken, Osmanen, Venezianer, Neuseeländer haben hier residiert. Schon in der Bronzezeit war der Ort besiedelt. Der Burgberg ist umgeben von alten Ganggräbern, die teils der Eisenbahnlinie weichen mussten. Man weiß nie, was kommt. Die Ferienwohnungen am Strand sind verrammelt. Geisterstadt. Aus einer letzten geöffneten Bar tönt Musik. Amerikanische Schlager. Eheversilberte, einsame Geliftete bräunen auf Strandliegen. Ab und an fliegt ein Militärhubschrauber vorbei. Plötzlich ein ganzes Geschwader. Apokalypse Now. Ich gehe ins Wasser. Das Wasser ist klar und weich. Eigentlich wollte ich dreist ins Wasser pinkeln. Aber so. Dazu die dicke Frau im Badeanzug auf der vordersten Strandliege, die mich nicht aus den Augen lässt. Erst als ich tropfend an ihr vorbeigehe, realisiere ich die Leere ihres Blicks. Das Bar-WC tut es auch. Es gibt eine Tür für Männer, eine für Frauen, direkt nebeneinander. Keine der Türen kann man abschließen.
Abends auf der Terrasse des Fischlokals. Sie reicht bis auf den Strand hinaus. Streunende Katzen betteln. Meine Tochter füttert sie mit Begeisterung. Ich zerlege in Rekordzeit eine Dorade, um mit ihr zu spielen.
Am Morgen scheint die aufgehende Sonne direkt auf mein Kopfkissen. Den Steinstrand des Orts entlangwandern. Spannender als die Sandstrände ringsum. Wie das im Leben so ist. Muscheln, Hölzer, Seeigel, Steine wie geschliffene Mikro-Planeten, geschliffene Glasscherben, Kacheln, Schneckenhäuser, erstes Laub und Müll, Geschichten, Gedanken, Ideen, Unerwartetes und Kraft. Später im Kloster am Rande des Nationalparks Tee kaufen. Die Kräuter sind frisch getrocknet und auf die braunen Papiertüten bunte Zettel mit Anwendungsinformationen getackert. Ich kann sie nicht lesen, aber das macht nichts. Die Kräuter sprechen für sich. Nicht weit entfernt die Wasserfälle. Um diese Jahreszeit berauschend besucherfrei. Jeder Stein im Strom eine Persönlichkeit. Die bewaldeten Felsen. Präsenz des Präsens. Ein Rotkehlchen nähert sich. Vogelfüße auf weißem Gebirgsschotter.
Am Meer stehen. Am Meer stehen. Am Meer stehen. Ein Leben lang. Und es ist doch nie genug.