Balanceakte – Texte

Aktueller denn je sind viele der Texte meiner Publikationen Von Verwandlungen (2017), Vom Dazwischen (2018) und Vom Miteinander (2019), darum müssen sie nochmal raus. Oder zumindest einige von ihnen, die schon viel erlebt haben und sich ein größeres Publikum wünschen. Diese Texte habe ich unter neuem Motto versammelt: Balanceakte – gleichzeitig Titel eines Textes. Von 2022 bis jetzt habe ich diese älteren Texte überarbeitet – manche dezent verdichtet, manche massiv verändert, weil ihr Potential noch nicht ausgeschöpft war. So habe ich z.B. bei  Brücken den Schluss komplett umgeschrieben oder von alle gleich nur noch das Gerüst stehen lassen, alles in dichterischer Manier kleingeschrieben wie es  für eine lyrische Collage viel besser passt. Manche Texte sind unverändert wie Im Café, dessen Rhythmus sich mir durch das häufige Vorlesen fast eingebrannt hat und den ich nirgendwo wirklich stören wollte, weil er immer noch stimmt, genau wie die queere Geschichte unter Querdenkern Schwarzwäldersahnetote. Texte wie Transposition und Selfiestickerei sind durch das Weniger mehr geworden. Bei Stück Welt und Von Bäumen habe ich mit zarten Stellschrauben gearbeitet, die jedoch viel mit den Texten machen. Alles gefällt mir so besser, ist wieder etwas reifer, hat vielleicht nun eine finale Form gefunden oder eine Form, die ich jetzt (erstmal) so stehen lassen kann. Sich selbst zu lektorieren ist ja nicht einfach, braucht Zeit, Abstand, Erfahrung. Und es soll ja immer ein Buch dabei herauskommen, das Spaß macht, überrascht, das wirkt.

(Die Schauspielerin Felicity Grist liest „Frau mit Hund (sucht)“, books without covers, Berlin, Theater im Kino, 2018. Foto: Svea Landschoof)

Richtig schwierig ist es dann, einen Titel zu finden. Klar war mir thematisch: Die Texte haben alle mit „Krisen“ zu tun – aber welche Texte haben das nicht. Viele Krisen darunter sind im Grunde Midlife-Krisen, aber auch wenn mich das Thema in letzter Zeit umtrieb, wollte ich nach dem Theaterstück Midlife-Trip nicht auch noch einen Erzählband so überschreiben. Auch, weil es den unterschiedlichen Krisen der Protagonist*innen und den verhandelten globalen Krisen und Kriegen nicht gerecht wird. Die Texte verhandeln alle gesellschaftliche Belange, sind alle politisch, weil ich eine politisch Schreibende bin. Ursprünglich sollte das Buch schon im Juni erscheinen, dann dauerten die Änderungen doch länger, dann kam die Sommerpause, danach standen Publikationen mit Text und Bild bei anderen Verlagen im Vordergrund (Kopf & Kragen Literaturverlag , etcetera press berlin). Nun hat sich das Projekt an einen Zeitpunkt verschoben, an dem der Titel Balanceakte besser passt denn je. Was nicht beabsichtigt war und nicht unbedingt ein glücklicher Umstand zu nennen ist. Ein Titel, der neben der Herausforderung ausschweifende Amplituden zu überstehen, hoffentlich auch die Hoffnung auf Durchatmen kommuniziert. Die Texte handeln von Rechtsextremismus, von Gleichschaltung und Aufbruch, von zwischenmenschlichen Herausforderungen das Weltanschauliche betreffend, von Umweltschutz und Klassenfragen, auch ganz basal von Paarbeziehungen, Care-Arbeitsproblematiken, abgeschliffenen Langzeitbeziehungen und alter, nicht rostender Liebe.

(Erster Platz für „Selfiestickerei“ beim Publikumsvoting der anonymen Lesereihe Konzept*Feuerpudel, Lettrétage, 2017. Foto: Andreas Vierheller)

Ein Großteil der 13 Texte funktioniert handlungsbasiert, kann Story/Erzählung/Kurzgeschichte genannt werden, aufgemischt von den lyrischen Experimenten Fado, Selfiestickerei, alle gleich oder auch Stück Welt, das gleichzeitig auch als Theatertext funktioniert. #HeleneundDirk und Frau mit Hund (sucht) loten Experimente mit Prosa aus. Andere Texte wie Der Punkt, Brücken und Im Café sind durchsetzt von (Theater-)Dialogen und Regieanweisungen. Die Texte nehmen insgesamt nicht nur inhaltlich überraschende Wendungen, sondern ich arbeite auch mit formal Unerwartetem wie dem Durchbrechen der vierten Wand. Alle sind sie Hybride, halten sich nicht an gewöhnliche Macharten. Der älteste Textanfang stammt aus dem Jahr 2004, als ich soeben mein Grundstudium an der Theaterakademie abgeschlossen hatte, und den ich 2017/18 in ein „Textperiment“ verwandelt habe. Noch aus seiner Anfangszeit steckt viel Begeisterung für Beckett und Ionesco in Fado – ein Text, in dem ich zum ersten Mal konsequent gewagt habe ohne akademische Zensur im Kopf zu schreiben.

 

(Fotos des Schüler:innen-Filmprojekts „Perspektivwechsel“, based on Stück Welt, Aktionstheater Pan.Optikum, 2020. Fotos: Jennifer Rohrbacher)

Meine frühen Texte aus Von Verwandlungen, darunter z.B. die Kriegsgeschichte Von Bäumen, die reale Erfahrungen/Berichte meiner Großeltern verwendet, ist stilistisch dem magischen Realismus zuzuordnen, ebenso der Text Im Café, der auf eine Weise auch eine Liebeserklärung an dieses von mir sehr geschätzte Getränk darstellt. Insgesamt ist hoffentlich gelungen, was ich mir als Leserin bei Textsammlungen selbst wünsche: Eine spannende, abwechslungsreiche Mischung, die trotz oder auch wegen der Experimentierfreude mit Text, für ein breites Publikum funktioniert (und natürlich auf mehr Texte derselben Autorin Lust macht 😉 ).

(Inszenierung  „Von Bäumen“, 25-jähriges Jubiläum Landschaftspark Duisburg, Aktionstheater Pan.Optikum, 2019. Foto: Jennifer Rohrbacher)

Manche der Texte haben mittlerweile schon ihre eigene Geschichte, haben sich in Theater verwandelt, in Film, sind von anderen gesprochen und vorgelesen worden, gewannen ein Publikumsvoting, wurden rezensiert, verschenkt und natürlich auch von mir selbst an unterschiedlichsten Orten gelesen. Ich bin gespannt, wohin ihre Reise in dieser neuen Konstellation (und auch einzeln) geht und freue mich, wenn sie zu euch sprechen.

 

unterschiedliche Lesesituationen: Werkstattraum Kreuzberg e.V., Leipziger Buchmesse, Periplaneta Literaturcafé, Lesezelt, Art Space Jungbluth, LiTE-Haus Galerie, Buch Berlin, Parkbanklesung Tiergarten, Kaminzimmer Literaturhaus Berlin, in meinem Atelier. (Fotos: D. Arnold, P.Kneisel, privat)
Fotos Beitragsbild: Jennifer Rohrbacher, Svea Landschoof, P. Kneisel)

Die Cover der drei Textbände: Von Verwandlungen (2017), Vom Dazwischen (2018), Vom Miteinander (2019)

 

Klappentext: 

patchwork, work-life-balance, klassentreffen, väter & keine versöhnung, care-arbeitskrise, paarbrei on holidays, den faden verlieren, gassi gehen, profilbildneurosen & klimaroulette, ego-geo, traumsequenzen, brücken & lücken, die balance finden verlieren finden verlieren, weitermachen.

13 Texte: Schwarzwäldersahnetote, alle gleich, Balanceakte, Fado, Der Punkt, Transposition, Stück Welt, Frau mit Hund (sucht), #HeleneundDirk, Im Café, Selfiestickerei, Brücken, Von Bäumen.

Taschenbuch, 264 Seiten. ISBN: 9783948574109

 

Coverdesign: Andreas Vierheller

(VOR-)BESTELLUNGEN beim Verlag sind ab sofort möglich. Das Buch erscheint im Dezember 2024 bei OffBeat-Publishing.